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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 24.1876

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.62254#0036
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2. Keft.

^t«ttz»et, ^»ixris «nil Hu«,

ZM K X i l.
Novelle
von
Albert Stutzer.
„Ach, der arme Herr!
Herr Lightfoot, gibt es denn
gar kein Mittel?"
„Wogegen, Frau Maples,
wogegen?"
„Nun, gegen die unbe-
greiflichen Ansichten unseres
guten armen Herrn, sich durch
die schreckliche Politik sein
Leben zu verkürzen, er unter-
zieht sich ja Anstrengungen,
die ein Tagelöhner nicht aus-
halten würde! Können denn
Sie, der Sie so viel Einfluß
auf ihn haben, ihm nicht
eine richtigere Ansicht von
der Sache beibringen — zum
Beispiel beim Rafiren? Da
ist ja jeder Mann milde ge-
sinnt."
„Frau Maples, Ihre
Ansichten verdienen Erwä-
gung, sie verdienen ernstliche
Berücksichtigung, ich sage es
offen, aber nur theilweise;
die Hauptsache macht Ihrem
Herzeu mehr Ehre als Ihrem
Kopfe; nichts für ungut,
aber Sie kommen, wie wir
gebildeten Leute zu sagen pfle-
gen, zu einem trügerischen
Schluffe, wenn Sie die Politik
als etwas Schreckliches be-
zeichnen. Die Politik, sehen
Sie wohl, ist etwas gar
Großes, und wie mein Freund
Slops, der den Premiermini-
ster bedient, zu sagen pflegt,
etwas so Erhabenes, daß
kein gewöhnlicher Verstand
sie zu erfassen vermag. Wenn
Sie das Räderwerk in der
Uhr des konstitutionellen
Staates, — Sie begreifen,
ich drücke mich figürlich aus
— wenn Sie das Räder-
werk —"
„Halten Sie ein, Herr
Lightfoot, das ist zu hoch für
mich! Ich verstehe nichts von
diesen schönen Reden, aber
das will ich Sie fragen:
Möchten Sie von einem Rä-
derwerk sich zerreißen lassen,
d. h. dadurch Ihre Gesund-
heit verlieren?"
Jllustr. Welt. XXIV. 2

Tapfere Vertheidiguug. Originälzeichnung von I. Wolf. (S. 51.)


Der also interpellirte Herr
Lightfoot, welcher den Rang
eines Kammerdieners bei deut
englischen Parlamentsmit-
glieds Herrn Percy Browning
einnahm, richtete sich in seiner
ganzen Höhe auf, räusperte
sich und ging dann mehrere
Male mit majestätischen Schrit-
ten in der Bedientenstube auf
und ab, bevor er vor der
dicken Haushälterin still stand
und mit einem halb gering-
schätzigen, halb mitleidigen
Blick auf ihr rundes, Wohl-
wollen und Harmlosigkeit aus-
strahlendes Antlitz in würde-
vollem Tone sagte:
„Wenn Sie mich um Be-
lehrung bitten, so kann ich
sie Ihnen wohl nicht vorcnt-
halten, obwohl ich Sorge
hege, daß Sie mich nicht
immer verstehen werden; in-
dessen sei es darum. Sie wisse»
wohl, wie unsereiner so Man-
ches hört, lernt und sieht in
seiner Stellung, und manch-
mal, ohne Eitelkeit sei es
gesagt, nicht dümmer ist als
sein Herr — vielleicht das
Gegentheil. Gut. Beleuchten
wir nun Ihre Ansichten über
Politik und den Staatsdienst
ein wenig. Was finden wir
da? Daß sie fast gänzlich
irrige sind! Sie wundern sich
zum Beispiel, daß uuser Herr
sich so viel Mühe und Arbeit
macht, ja daß er es sich noch
so viel Geld kosten ließ, um
sich diese Mühe und Arbeit
machen zu können; nicht wahr,
Sie begreifen nicht, warum
unser Herr bei seinem großen
Vermögen sich überhaupt in's
Parlament wählen ließ?"
„Nein, ich verstehe nicht,
wie man eine Freude daran
haben kann, ganze Nächte in
dem heißen Saale zu sitzen
und langweilige Reden mit
anzuhören," versetzte Frau
Maples treuherzig, „mir
scheint es recht thöricht, be-
sonders wenn man's nicht
nöthig hat."
Sich mit der Hand durch
das Haar fahrend, lächelte
de.r gelehrte Kammerdiener
mitleidig.
„Sie urtheilen furchtbar
oberflächlich, aber ich nehme
 
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