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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 24.1876

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.62254#0310
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Gin alter Soldat.
Erzählung
von
H. Wandel.
(Nachdruck verboten.)
In dem schlesischen Provin-
Zialstädtchen S. gab es Nie-
manden, der den Major a. D.
von Seelenklau nicht kannte,
kaum Einen, der den alten
Herrn in dem mausgrauen
Cylinderhut mit der preußi-
schen Kokarde nicht grüßte.
Diese Popularität verdankte
der Major zum Theil seiner
eigenen Leutseligkeit, zum Theil
dem Andenken seiner seligen
Frau. In Amalie von See-
lenklau war den Armen der
Stadt eine unermüdliche Wohl-
thäterin entschlafen. Diese
energische Frau hatte ihren
ganzen Thätigkeitsdrang und
einen Theil ihrer Glücksgüter
der Noch ihrer Mitmenschen
gewidmet. Man rechnete ihr
nach, daß sie sieben Wohl-
thätigkeitsvereinen angehört
hatte.
Leider war der hastige
Wohlthätigkeitstrieb Ama-
liens zu Lebzeiten der Dame
für das eigene Hauswesen
nicht gleich segensreich. Tie
charakterstarke Frau besaß aber
so viel Autorität über ihren
Mann, daß er beinahe noch
ein vergnügtes Gesicht machte,
wenn Amalie stundenlang über
die Mittagszeit in ihrer Näh-
schule blieb und nur heim-
kehrte, um „schnell ein paar
Löffel Suppe zu nehmen".
Amaliens Hinscheiden ging
dem alten Herrn gewaltig zu
Herzen, obgleich alle seine
Bekannten darin übereinstimm-
ten, daß die Rettungshüuser,
Suppenvereine und Empfän-
ger wohlthätiger Socken durch
das Ableben dieser Frau mehr
verloren hatten, als der Mann.
Nachdem der kinderlose
Wittwer sein rehbraunes Hau^
am Ringe zwei Jahre hindurch
nur mit einem alten Diener
bewohnt hatte, adoptirte er
die zwölfjährige Tochter eines
Jllustr. Welt. XXIV. 13.


schlafen gegangenen Kriegs-
kameraden. Die kleine Anna,
Pathenkind und von jeher er-
klärter Liebling des Majors,
brachte den alten Herrn förm-
lich wieder zu neuem Leben
zurück, gleichwie die Früh-
lingssonne auch den altern-
den Baumstamm durchwärmt.
Seitdem Anna in ihrer Kittel-
schürze mit glühenden Wan-
gen und flatternden Zöpfen
durch die Zimmer tobte und
ihr Helles Lachen durch die
Räume klang, war der Major
um zehn Jahre jünger ge-
worden.
Der Erziehung des Kindes
widmete er sich mit rührender
Sorgfalt und Gewissenhaftig-
keit. Die Zeit, welche er in
„der lustigen Patrontasche"
— dem seiner äußeren Form
wegen scherzweise so benann-
ten Kasinolokal — zubrachte,
wurde auf ein Minimum re-
duzirt und die ganze Haus-
ordnung wieder nach einem
Familienleben zugeschnitten.
Es wohnte in S. eine
betagte Cousine des Majors,
die Wittwe eines Kreisgerichts-
raths. Auf das Urtheil dieser
praktischen Dame gab der
Major viel und holte sich bei
ihr manchen Rath für die Er-
ziehung Anua's, wachte aber
im Uebrigen eifersüchtig dar-
über, daß die Anhänglichkeit
des Kindes an Tante Adele
nicht zu innig wurde. Aus
gleicher Eifersucht widersetzte
er sich auch dem eindringlichen
Rath der Cousine, für Anna
eine Gouvernante in's Haus
zu nehmen.
„Nimm es mir nicht übel,
Felix," sagte die Matrone bei
Erörterung dieser Frage, „eine
weibliche Hand ist für die
Führung einer Mädchennatur
in so zartem Alter weit ge-
eigneter, als die rauhe Faust
eines Soldaten."
„Einverstanden!" rief der
Major eifrig und bürstete sei-
nen mausgrauen Cplinder
mit dem Rockärmel. „Nur-
muß jene weibliche Hand die
Hand der Mutter sein. Diese
dünkelhaften und eigenwilli-
gen Gouvernanten setzen den

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