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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 24.1876

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Heft 12
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Aas KaörchLsfräukin.
Erzählung
von
Rudolf Gaumdach.
(Schluß.)
Ein heißer Tag ging zu Ende,
die Sonne neigte sich zum Nie-
dergang und von den Bergen
herüber wehte kühle, erquickende
Luft.
Die Kinder des Försters, die
sich lauge vor dem Haus herum-
getummelt hatten, saßen müde
und hungrig in der Küche und
warteten auf das Abendbrod.
Seither hatte ihnen der Herr
Professor die Zeit des Wartens
durch eine seiner wunderschönen
Geschichten verkürzt, heute aber
fehlte er. Anscheinend verstimmt
war er gegen Mittag aus dem
Bielsteinwald zurückgekehrt, dann
hatte er zum Haltenwirth nach
dessen Fuhrwerk geschickt und war
am Nachmittag nach Kaltenbrunn
gefahren. Die Kinder hatten das
neue Bilderbuch bereits von An-
fang bis Ende durchblättert und
nun — ja was nun?
Der Hans war auch nicht da,
und was hätte der auch zur Ver-
treibung der Langweile gethan?
Mit dem war ja schon längst
nicht mehr auszukommen. Sonst
spielte der Onkel Hans mit den
Kindern, als ob er selbst noch
eins sei, schnitzte Schwerter aus
Holz, Schiffchen aus Baumrinde
und Teufel aus Kartoffeln, aber
seit einiger Zeit war er so mür-
risch, daß sich die Kinder vor
ihm beinahe fürchteten.
„Ist das Essen noch nicht
bald fertig?" fragte endlich der
Aelteste.
„Geduld," erwiederte die
Frau Muhme, welche Schwarz-
brod in eine große Schüssel
schnitt. „Evchen, fetze doch die
Milch an's Feuer, damit wir
die hungrigen Mäuler sättigen
können."
Eva stand am Herd und
starrte in die Flamme, die sie
eben entfacht hatte. Beim Anruf
der Muhme fuhr sie auf wie
aus dem Schlaf aufgeschreckt.
„Gleich, gleich," rief sie und

Die Wartburg. (S. 311.)


that wie ihr geheißen, dann ver-
fiel sie wieder in Nachdenken.
Es war heute zum ersten
Mal, seitdem Hans in der Einöd
lebte, zwischen ihm und dem
Vater zu einem Wortwechsel ge-
kommen. Der überaus gut-
müthige Förster hatte ihn wegen
einer Nachlässigkeit sanft zur Rede
gestellt, Hans hatte sich vertei-
digt und zwar in einer keines-
wegs höflichen Weise. Dabei
hatte er so sonderbare Reden ge-
führt; er sei nicht Willens sich
wie einen dummen Jungen be-
handeln zu lassen, er wisse schon,
wo Bartel den Most hole —
wenn er dem Förster nicht recht
sei, so wolle er seiner Wege gehen
— ein Kerl wie er finde überall
sein Brod und was dergleichen
Redensarten mehr waren. Hier-
auf hatte der Förster in gereiztem
Ton erwiedert, er seinerseits halte
den Herrn Hans Grubenhofer
durchaus nicht — so einen finde
er leicht wieder — Hans möge
gehen, wohin er wolle. Darauf
hatte Hans seine Flinte genom-
men und war trotzig in den Wald
gegangen. Daß er wieder kommen
werde, daß der Wortwechsel über-
haupt keine weiteren Folgen
haben werde, davon war Eva
überzeugt und darüber machte sie
sich keine Sorgen, wohl aber
gingen ihr die trotzigen Worte,
die Hans gesprochen hatte, im
Kopf herum; sie brachte sie in
Zusammenhang mit dem zurück-
haltenden, fast scheuen Wesen,
welches er seit einiger Zeit zur
Schau trug — und die Thränen
traten ihr in die Augen.
„Mich hungert ganz fürchter-
lich," ächzte der kleine Karl. ,,Ev',
erzähl' Du uns eine Geschichte!"
„Geh', lass' mich in Ruh', ich
weiß keine, auch muß ich auf die
Milch Acht geben, daß sie nicht
anbrennt."
„Wenn ihr still sein wollt,"
sagte die Frau Muhme, „so will
ich euch eine Geschichte erzählen.
Also aufgepaßt! Es war ein-
mal ein König, der hatte eine
Tochter, die war eine Prinzessin.
Sie war wunderschön, aber noch
kein Mensch hatte sie jemals lachen
sehen — — —"
„Ach, Frau Muhme, die Ge-
schichte kennen wir," riefen alle
vier Kinder.

Jllustr. Welt. XXIV. 12.

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