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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 24.1876

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Heft 16
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https://doi.org/10.11588/diglit.62254#0389
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W

Neichspostmeifter. Originalzeichuung von F. Weiß. (S. 41-5.)


sucht, weil es keine Vergnügungen bietet, weil es mit seinem
feierlichen Ernste schier das Gemüth beklemmt.
Im Lustwäldchen zu Sommershof, mitten in den versteck-
testen, dichtesten Gebüschen, durch welche kaum ein einziger Fuß-
steig dringt, im düstern Schatten des Horstes, wo der Uhu und
der Steinkauz uisten, steht eine Kapelle. Sie ist stets ver-
schlossen, sie hat kein Glöcklein und keinen Orgelton und die
zwei hohen, schmalen Fenster sind mit dunkler Glasmalerei ein-
gelegt.
Aber alljährlich am zwanzigsten September, gerade am
Festtage des heiligen Eustachius, ist die schwere Eisenthür dieser

Kapelle aufgethan. Uud in ihrer tiefen Dämmerung, am Al-
täre, vor einem großen silbernen Kreuze, brennen zwölf Wachs-
lichter. Davor auf einem dunkelumkleideten Betpulte kniet in
schwarzer Trauer eine Frau. Sie ist noch jung, sie hat goldige
Lockenwellen, aus ihren zarten Wangen liegt ein Nosenhauch,
aber ihre großen schönen Augen weinen.
Zu Füßen des Betpultes liegt eiue steinerne Gruftplatte
mit vier schweren Eisenringen. Tief unter derselben ruhen zwei
Särge . .. Zur Rechter: des Altares auf einem Marmorstein
prangt der Name „Abdon"; zur Linken auf - einen: Marmor-
stein prangt der Name „Sennon".
Der Eine war der Freund, der Andere
der Gatte.
Unter den: Namen „Abdou" in einem
Glasschranke liegen grellbunte Kleidungs-
stücke, wie sie weiland Hanswurst und
Kasperl haben getragen. Unter dem Namen
„Sennon" hängt ein farbenmattes Myr-
tenkränzlein. — Inden Goldlocken der trauern-
den Beterin grünt ein frischer Zweig von
Rosmarin, wie solchen in jener Gegend nur
die lilienreine Maid pflegt zu trage,:.
Sie, die au diesen: Gedüchtnißtage den
Freund und den Gatten beweint — es ist
die Jungfrau von Sommershof.

Die heiteren Vögel des Lustwäldcheus
singen nichts von den Schicksalen des schönen
Gutes. Darum sagt jeder Fremdling, der
eintritt und ruht im Schatten und köstliche
Labuiß genießt: es gäbe auf Erden keinen
lieblicheren und glückseligeren Aufenthalt,
als dieses Landgut.
Doch Hütte es dem Weltkeuner wohl
auffallen mögen: es war fast gar zu
idyllisch uud wohlig, kein Lärm: und keine
Geschäftigkeit des Werktags wirbelte Staub '
auf, es war, als läge ein ewiger Sonntag
über dem Sommershof.
Und wo auf Erden eine Stätte ist, auf
der beständig eine solche Stimmung liegt,
dort geht es nicht ganz mit rechten Din-
gen zu.
Natürlich war es hier nicht immer so
gewesen. In den Gemächern des Hauses,
in deren Fenstern heute noch zwischen Blu-
mentöpfen die festen Eisengitter stehen, ist
seiner Tage Buchhaltung geführt morden,
streng kaufmännische, doppelte Buchhaltung
über Gehöfte, Waiden und Wälder, über
Reviere und Fischwasser, über Almwirth-
schaften, Hochöfen und Eisenwerke. Franz
Sommershofer mar ein reicher Mann, und
nicht allein seiner selbst waltete er; er för-
derte die Laudwirthschaft im Allgemeinen
durch ein praktisches Gebahrcn, hob die
Hammergewerke durch neugeschaffene Ab-
zugsquellen und übte Wohlthaten nach allen
Seiten; ihm allein verdankte der Ort Edelsee
seine Blüte, ihm verdankten viele umliegende
Dörfer und Gemeinden ihre Armenhäuser
und guten Straßen. Da schmückte man
54

Der Karn von Edeklee.
Eine Geschichte aus Steiermark.
Von
P. K. Rosegger.
(Nachdruck verboten.)
Die Jungfrau von Sommershof.
,L .sie ist im Lustwäldchen zu Sommershof wieder ein fröhlich
Se' .. Heute, wie einst — vor den zwei gräßlichen Tagen.
Len Eingang in das Wäldchen be-
»vv-chen uralte Eichen; auf keiner derselben
jedoch prangt die herrische Tafel: Eintritt
verboten! Im Gegentheil, auf dem weißen
Schilde eines grünen Pfeilers steht mit
schönen einfachen Buchstaben ein Willkomm-
gruß an Freund und Fremdling und der
Rath dabei für Jeden, in Haus und Wald
zu Sommershof der heiteru Rast zu pflegen.
Diese Aufschrift hat uoch der liebe Abdon
gemacht.
Der Sommershof, ein schöner Bau mit
helleu Fenstern, steht zur rechten Hand auf
einer sanften Höhung, und links weithin
prangt der Lustwald mit seinen vielen tau-
send Tannen, Eichen, Eschen, Linden und
Birken. Trautsame Lauben, lauschige Raseu-
plütze, verborgene Quellen und hochspru-
delnde Brunnen, bemoostes Gefelsc und
Dorngehege; breite Sandwege und versteckte
Fußpfade, dunkle Grotten und luftige Stege,
ein Wildbach gar mit drei gischtenden
Wasserfällen, ein kleiner dunkler See mit
Forellen, ein Thiergarten mit vielen Rehen
und mehreren Hirschen und Wildtauben und
Häher und anderes Gevögel, zahllos mit
schimmernden Fittichen uud Hellen Stimmen
den Wald belebend. All' das und mehr
noch, und Lieblicheres noch ist hier zu finden.
Zwei Meister haben dich aufgebaut, du
schöuer Wald zu Sommershof — die Natur
und die Kunst.
Einladende Kegelbahnen sind angelegt
morden unter den Birken; reizende Hänge-
matten sind bereitet unter den Linden, und
an Sommertagen belebe:: heitere Menschen
die Räume und Spielplätze. Und eine
schöne junge Frau in hellschimmeruder Klei-
dung, mit goldigen Lockenwellen uud großen
freundlichen Augen, ist die Seele der Ge-
sellschaft und die Seele des Frohsinns.
Am Rande des Waldes, wo die grünen
Matten beginnen, ist eine Schießstatt an-
gebracht; aber diese ist nun schon geschlossen
feit manchem Jahr, und um diese Schieß-
stätte ist eine Einsamkeit, die zu dem Leben
und Weben des Wäldchens nicht recht
stimmen will.
Nur ein einzig Plätzchen gibt es,
das noch stiller und noch einsamer ist, als
. die Schießstatt, das gar Niemand auf-
Jllustr. Welt. XLIV. 16.
 
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