Carl Spitteier.
73
Carl Spitteier.
Von HANNS SACHS <Wien>.
In dieser Welt von Übeln krank, von Blute rot.
Tut Geist und Schönheit, tut ein Flecklein Himmel not.
Ein Glücklicher, der nichts vom Pfuhl des Jammers weiß.
Ein Edler, rein von Schuld, ein Held des Helmbusch weiß.
(»Olympischer Frühling«, II. Teil.)
Ist die Annahme der Psychoanalyse richtig, daß die schöpferische
Phantasie des Künstlers, wie jede andere, ihre tiefste und mächtigste
Quelle im Unbewußten habe, so muß in der Brust jener, die sich
die Phantasie zum Lebensinhalt gemacht haben, der Kampf zwischen
Begierde und Verbot, Wunsch und Angst mit besonderer Heftigkeit
entbrannt sein. Was den Künstler von den übrigen Phantasie^
menschen, Träumern und Narren, besonders unterscheidet ist seine
Fähigkeit, trotz der Gewalt dieser inneren Kämpfe den Weg von
sich weg zu finden. Er muß sich vergessen können, während er seine
Leiden ausspricht und formt: »Aber sich so verlieren, ist mehr sich
finden«, dies Wort des Mystikers gilt nicht nur für die religiöse,
sondern für jede Form der Inspiration.
Wenn wir Psychoanalytiker nun auch hoffen dürfen, gründlicher
als die bisherige Psychologie das seelische Material nachweisen zu
können, aus dem die poetischen Meisterwerke geformt wurden, wenn
wir es auch versuchen dürfen, den Wegen dieser Umformung, den
Mechanismen der dichterischen Produktion nachzuforschen, eines wird
uns doch voraussichtlich immer unfaßbar bleiben: das Maß der
geistigen Kraft, die dazu nötig war, den Widerstand der Materie
völlig zu überwinden und in scheinbar schrankenloser geistiger Frei-
heit zu schaffen. Darin wird sich das Genie wohl nie der wissen-
schaftlichen Analyse preisgeben, das Geheimnis seiner Größe scheint
schicksallos, außerhalb der Reihe von LIrsachen und Folgen zu
stehen. An keinem aber ist die Verleihung dieses Wundergeschenkes
sichtbarer geworden als an Carl Spitteier, dem großen Schweizer
Dichter und unwissentlichen Paten dieser Zeitschrift. Ihm gegenüber
wäre eine Analyse ein zu hohes Wagnis,- nur auf einige Stellen,
wo seine Intuition mit den Forschungsresultaten Freuds zusammen-
trifft, sei bescheidentlich hingewiesen,
»Imago« ist die Geschichte einer aus der Verdrängung wieder-
kehrenden Liebe, die zuerst als Abneigung und Verachtung ver-
kleidet auftritt, dann im Traum und durch »Konversion ins Somati-
sche« nach Ausdruck ringt, bis sie sich wieder im Bewußtsein durch-
setzt. Aber nicht die — übrigens in allen Einzelheiten wundervolle
— Schilderung dieses Kampfes mit dem Widerstand ist das Einzige
artige des Buches, sondern die Gestaltung der Idee, daß für den
in inneren Konflikten Befangenen nicht mehr die geliebte Person
alleiniges Liebesobjekt ist, sondern daneben und darüber auch die
Gestalten, die sich seine Phantasie nach ihrem Ebenbilde erschaffen
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Carl Spitteier.
Von HANNS SACHS <Wien>.
In dieser Welt von Übeln krank, von Blute rot.
Tut Geist und Schönheit, tut ein Flecklein Himmel not.
Ein Glücklicher, der nichts vom Pfuhl des Jammers weiß.
Ein Edler, rein von Schuld, ein Held des Helmbusch weiß.
(»Olympischer Frühling«, II. Teil.)
Ist die Annahme der Psychoanalyse richtig, daß die schöpferische
Phantasie des Künstlers, wie jede andere, ihre tiefste und mächtigste
Quelle im Unbewußten habe, so muß in der Brust jener, die sich
die Phantasie zum Lebensinhalt gemacht haben, der Kampf zwischen
Begierde und Verbot, Wunsch und Angst mit besonderer Heftigkeit
entbrannt sein. Was den Künstler von den übrigen Phantasie^
menschen, Träumern und Narren, besonders unterscheidet ist seine
Fähigkeit, trotz der Gewalt dieser inneren Kämpfe den Weg von
sich weg zu finden. Er muß sich vergessen können, während er seine
Leiden ausspricht und formt: »Aber sich so verlieren, ist mehr sich
finden«, dies Wort des Mystikers gilt nicht nur für die religiöse,
sondern für jede Form der Inspiration.
Wenn wir Psychoanalytiker nun auch hoffen dürfen, gründlicher
als die bisherige Psychologie das seelische Material nachweisen zu
können, aus dem die poetischen Meisterwerke geformt wurden, wenn
wir es auch versuchen dürfen, den Wegen dieser Umformung, den
Mechanismen der dichterischen Produktion nachzuforschen, eines wird
uns doch voraussichtlich immer unfaßbar bleiben: das Maß der
geistigen Kraft, die dazu nötig war, den Widerstand der Materie
völlig zu überwinden und in scheinbar schrankenloser geistiger Frei-
heit zu schaffen. Darin wird sich das Genie wohl nie der wissen-
schaftlichen Analyse preisgeben, das Geheimnis seiner Größe scheint
schicksallos, außerhalb der Reihe von LIrsachen und Folgen zu
stehen. An keinem aber ist die Verleihung dieses Wundergeschenkes
sichtbarer geworden als an Carl Spitteier, dem großen Schweizer
Dichter und unwissentlichen Paten dieser Zeitschrift. Ihm gegenüber
wäre eine Analyse ein zu hohes Wagnis,- nur auf einige Stellen,
wo seine Intuition mit den Forschungsresultaten Freuds zusammen-
trifft, sei bescheidentlich hingewiesen,
»Imago« ist die Geschichte einer aus der Verdrängung wieder-
kehrenden Liebe, die zuerst als Abneigung und Verachtung ver-
kleidet auftritt, dann im Traum und durch »Konversion ins Somati-
sche« nach Ausdruck ringt, bis sie sich wieder im Bewußtsein durch-
setzt. Aber nicht die — übrigens in allen Einzelheiten wundervolle
— Schilderung dieses Kampfes mit dem Widerstand ist das Einzige
artige des Buches, sondern die Gestaltung der Idee, daß für den
in inneren Konflikten Befangenen nicht mehr die geliebte Person
alleiniges Liebesobjekt ist, sondern daneben und darüber auch die
Gestalten, die sich seine Phantasie nach ihrem Ebenbilde erschaffen