Bücher
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Bücher.
KÜNSTLICHE BESESSENHEIT,
Besessenheit — Zauberwahn — Teufelsspuk — Hexenprozesse —
Scheiterhaufen — das mag etwa die Assoziationskette sein, die die Über-
schrift im Geist des Lesers wachruft: ein Rückblick auf eine trübe Zeit
stellt sich ein, die man froh ist, überwunden zu haben, <Daß wir uns dafür
anderen Übeln in die Arme geworfen haben und täglich in die Arme
werfen, das pflegen wir ja vornehm zu übersehen.) Und dazu mag sich die
Frage gesellen: was soll uns eine künstliche Besessenheit? Ist diese ein be-
gehrenswerter Zustand, um dessen Erlangung man sich bemühen wird?
Wahrhaftig, ich kann nichts dagegen einwenden, wenn mir jemand als
Parallele hiezu Nestroys künstliche Hühneraugen vorhält, welche genau
so weh tun wie die natürlichen, und die künstlichen Läuse für Leute, die
Perücken tragen.
Nein, wie immer sich die Besessenheit, ein ehemals weiter Begriff,
in der modernen Psydiopathologie auflösen mag — als Paranoia, Hysterie
etc, — man kann sich kaum vorstellen, daß jemand sie erstreben sollte. Es
mag also seltsam berühren, wenn ich von einem ernsten Mann berichte
der, unter steter Beobachtung seiner selbst, mit großer Mühe und Kunst
systematisch eine Besessenheit sich angezüchtet hat. Dieser ob seiner selbst-
geschaffenen Leiden nicht zu beneidende, ob seiner zähen, unerschrockenen
Forschungstätigkeit aber hochzuschätzende Mann ist Dr. Ludwig Stauden-
maier, dessen kürzlich erschienenes1 Buch »Die Magie als experimentelle
Naturwissenschaft« dazu angetan ist, lebhaftes Interesse zu erregen,
namentlich in den Kreisen, die der Psychanalyse nahestehen. Der Verfasser
ist ein interessantes Objekt für die tiefenpsychologische Forsdiung, nicht
bloß wegen der prächtigen Vermählung von seelischem Zerfall mit ziel-
bewußter Selbstbeobachtung, sondern insbesondere deshalb, weil der Ver-
fasser mit seiner Selbstschau <die er ohne jede Kenntnis der Psychanalyse
vorgenommen hat) zu Resultaten gekommen ist, welche vielfach mit den
von der Psychanalyse und Tiefenpsychologie auf ganz anderem Wege er-
langten Kenntnissen sozusagen von innen heraus Übereinkommen, Geradezu
verblüffend mögen vor allem die subjektiven Erfahrungen Staudenmaiers
über die Autonomie der Komplexe auf die meisten Leser wirken. Doch
ich will der zusammenhängenden Darstellung nicht vorgreifen,
Dr. Ludwig Stauden maier ist kgl. ord. Hochschulprofessor für
Experimentalchemie an dem Lyzeum in Freising bei München, Zu ihm kam
eines Tages ein Herr, um ihn zu fragen, ob sich die in spiritistischen
Sitzungen gelegentlich auftretenden phosphoreszierenden Gestalten nicht
physikalisch oder chemisch erklären ließen. Dr. Stauden maier entgegnete,
daß seines Wissens der Spiritismus auf Schwindel beruhe, wurde aber doch
durch wiederholte Fragen des erwähnten Herrn dazu gebracht. Versuche
anzustellen, wie sie in spiritistischen Zirkeln geübt werden. Doch ließ er
sich darauf nicht ein, mit irgendeinem zweifelhaften »Medium« zu arbeiten,
sondern trachtete, an sich selbst eine Reihe solcher Eigenschaften und Fähig-
keiten zu entwickeln, wie sie den spiritistischen Medien eigen sind. Die
Bemühungen hatten Erfolg, und zwar erwünschten wie auch unerwünschten.
Dr. St audenmaier war sein eigenes Medium,- Beobachter und Versuchs-
person in einem.
1 In Leipzig bei der Akademischen Verlagsgesellschaft.
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Bücher.
KÜNSTLICHE BESESSENHEIT,
Besessenheit — Zauberwahn — Teufelsspuk — Hexenprozesse —
Scheiterhaufen — das mag etwa die Assoziationskette sein, die die Über-
schrift im Geist des Lesers wachruft: ein Rückblick auf eine trübe Zeit
stellt sich ein, die man froh ist, überwunden zu haben, <Daß wir uns dafür
anderen Übeln in die Arme geworfen haben und täglich in die Arme
werfen, das pflegen wir ja vornehm zu übersehen.) Und dazu mag sich die
Frage gesellen: was soll uns eine künstliche Besessenheit? Ist diese ein be-
gehrenswerter Zustand, um dessen Erlangung man sich bemühen wird?
Wahrhaftig, ich kann nichts dagegen einwenden, wenn mir jemand als
Parallele hiezu Nestroys künstliche Hühneraugen vorhält, welche genau
so weh tun wie die natürlichen, und die künstlichen Läuse für Leute, die
Perücken tragen.
Nein, wie immer sich die Besessenheit, ein ehemals weiter Begriff,
in der modernen Psydiopathologie auflösen mag — als Paranoia, Hysterie
etc, — man kann sich kaum vorstellen, daß jemand sie erstreben sollte. Es
mag also seltsam berühren, wenn ich von einem ernsten Mann berichte
der, unter steter Beobachtung seiner selbst, mit großer Mühe und Kunst
systematisch eine Besessenheit sich angezüchtet hat. Dieser ob seiner selbst-
geschaffenen Leiden nicht zu beneidende, ob seiner zähen, unerschrockenen
Forschungstätigkeit aber hochzuschätzende Mann ist Dr. Ludwig Stauden-
maier, dessen kürzlich erschienenes1 Buch »Die Magie als experimentelle
Naturwissenschaft« dazu angetan ist, lebhaftes Interesse zu erregen,
namentlich in den Kreisen, die der Psychanalyse nahestehen. Der Verfasser
ist ein interessantes Objekt für die tiefenpsychologische Forsdiung, nicht
bloß wegen der prächtigen Vermählung von seelischem Zerfall mit ziel-
bewußter Selbstbeobachtung, sondern insbesondere deshalb, weil der Ver-
fasser mit seiner Selbstschau <die er ohne jede Kenntnis der Psychanalyse
vorgenommen hat) zu Resultaten gekommen ist, welche vielfach mit den
von der Psychanalyse und Tiefenpsychologie auf ganz anderem Wege er-
langten Kenntnissen sozusagen von innen heraus Übereinkommen, Geradezu
verblüffend mögen vor allem die subjektiven Erfahrungen Staudenmaiers
über die Autonomie der Komplexe auf die meisten Leser wirken. Doch
ich will der zusammenhängenden Darstellung nicht vorgreifen,
Dr. Ludwig Stauden maier ist kgl. ord. Hochschulprofessor für
Experimentalchemie an dem Lyzeum in Freising bei München, Zu ihm kam
eines Tages ein Herr, um ihn zu fragen, ob sich die in spiritistischen
Sitzungen gelegentlich auftretenden phosphoreszierenden Gestalten nicht
physikalisch oder chemisch erklären ließen. Dr. Stauden maier entgegnete,
daß seines Wissens der Spiritismus auf Schwindel beruhe, wurde aber doch
durch wiederholte Fragen des erwähnten Herrn dazu gebracht. Versuche
anzustellen, wie sie in spiritistischen Zirkeln geübt werden. Doch ließ er
sich darauf nicht ein, mit irgendeinem zweifelhaften »Medium« zu arbeiten,
sondern trachtete, an sich selbst eine Reihe solcher Eigenschaften und Fähig-
keiten zu entwickeln, wie sie den spiritistischen Medien eigen sind. Die
Bemühungen hatten Erfolg, und zwar erwünschten wie auch unerwünschten.
Dr. St audenmaier war sein eigenes Medium,- Beobachter und Versuchs-
person in einem.
1 In Leipzig bei der Akademischen Verlagsgesellschaft.