AG O
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSyCHCU
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG:
II. 5. DR. OTTO RANK / DR. HANNS SACHS 1913
M
Von frühem Gottesdienst.
Von LOLI ANDREAS-SALOME.
achdem Freud in dieser Zeitschrift die Religion und die
^ religiösen Gebräuche der »Wilden« psychoanalytisch ange-
faßt hat, versuche ich einen Bericht hinzuzufügen von anderem
frühen Gottesdienst, von dem des Kindes, wenn auch nur als
persönliche und sogar frauenzimmerliche Beigabe, die von psycho-
analytischer Durchdringung absieht.
Dieser entscheidende Mangel rührt daher, daß ich nicht, ehe
ich von einem Gott was sage, von einem dahinter stehenden
Menschen sagen kann, denn meine Erinnerungen lassen mich dabei
im Stich. Sollte ich sie dennoch einmal erwischen, so will ich sie
getreulich beichten.
Meine früheste Vatererinnerung scheint mir nicht genügend
Licht zu bringen in den dunklen Vorgang, wie ich von ihm mein
Gottesmodell bezogen haben mag, und sie wurde in dieser Zeit-
strecke von keiner weiteren gefolgt.
Ein noch ganz kleines Mädchen, sehe ich mich aufrecht in
in meinem Gitterbett stehen, als mein Vater, in großer Uniform
von einem Galadiner kommend, mich an sich ziehen will und da-
bei mit seiner brennenden Zigarette an meine nackte Schulter gerät.
Natürlich schreie ich mörderlich los, und als er, zärtlich erschrocken
ob seiner väterlichen Untat, mich über und über mit Küssen
bededct, nehme ich wahr — in staunender Befriedigung ver-
stummend — daß in seinen stahlblauen Augen ganz wirkliche echte
Tränen stehen.
Mit diesem Anblidc verbindet sich irgendwie die Erinnerung
an ein Knallbonbon, Damals und auch später noch brachte er mir
von der kaiserlichen Tafel ein bis zur Unwahrscheinlichkeit pracht-
volles Bonbon mit, von dem ich annahm, daß, wenn man es knallen
ließ, goldene Gewänder herauskämen. Als ich jedoch hörte, es sei
nur Kleidung und Kapuze von Seidenpapier, hab ich es nicht
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSyCHCU
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG:
II. 5. DR. OTTO RANK / DR. HANNS SACHS 1913
M
Von frühem Gottesdienst.
Von LOLI ANDREAS-SALOME.
achdem Freud in dieser Zeitschrift die Religion und die
^ religiösen Gebräuche der »Wilden« psychoanalytisch ange-
faßt hat, versuche ich einen Bericht hinzuzufügen von anderem
frühen Gottesdienst, von dem des Kindes, wenn auch nur als
persönliche und sogar frauenzimmerliche Beigabe, die von psycho-
analytischer Durchdringung absieht.
Dieser entscheidende Mangel rührt daher, daß ich nicht, ehe
ich von einem Gott was sage, von einem dahinter stehenden
Menschen sagen kann, denn meine Erinnerungen lassen mich dabei
im Stich. Sollte ich sie dennoch einmal erwischen, so will ich sie
getreulich beichten.
Meine früheste Vatererinnerung scheint mir nicht genügend
Licht zu bringen in den dunklen Vorgang, wie ich von ihm mein
Gottesmodell bezogen haben mag, und sie wurde in dieser Zeit-
strecke von keiner weiteren gefolgt.
Ein noch ganz kleines Mädchen, sehe ich mich aufrecht in
in meinem Gitterbett stehen, als mein Vater, in großer Uniform
von einem Galadiner kommend, mich an sich ziehen will und da-
bei mit seiner brennenden Zigarette an meine nackte Schulter gerät.
Natürlich schreie ich mörderlich los, und als er, zärtlich erschrocken
ob seiner väterlichen Untat, mich über und über mit Küssen
bededct, nehme ich wahr — in staunender Befriedigung ver-
stummend — daß in seinen stahlblauen Augen ganz wirkliche echte
Tränen stehen.
Mit diesem Anblidc verbindet sich irgendwie die Erinnerung
an ein Knallbonbon, Damals und auch später noch brachte er mir
von der kaiserlichen Tafel ein bis zur Unwahrscheinlichkeit pracht-
volles Bonbon mit, von dem ich annahm, daß, wenn man es knallen
ließ, goldene Gewänder herauskämen. Als ich jedoch hörte, es sei
nur Kleidung und Kapuze von Seidenpapier, hab ich es nicht