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Hanns Sachs
Die Motivgestaltung bei Schnitzler.
Von HANNS SACHS, Wien.
Die folgenden Ausführungen erheben nicht den Anspruch als
Beitrag zur KiinstlerpsyBiologie zu gelten. Ich habe es mir
— von einer Ausnahme abgesehen — nicht gestattet, von
den Resultaten der Psychoanalyse Gebrauch zu machen und mich
darauf beschränkt, ihre Anschauungsweise anzuwenden. Durch diese
Methode läßt sich zwar kein neues Verständnis des künstlerischen
Schaffens gewinnen, aber vielleicht eine wichtige Vorarbeit dafür
leisten,- es soll damit der Beweis erbracht werden, daß im Schöpfungs-
akte des Künstlers, wie sonst im Seelenleben, alles, das Kleinste
wie das Größte, dem Gesetze der Determination unterworfen ist.
Eine Abzweigung vom »Weg ins Freie«.
Es ist dem Dichter nicht möglich, den Kreis zu durchbrechen,
den seine Pläne und Entwürfe um ihn gezogen haben. Wonach er
auch greifen mag, in seiner Hand verwandelt es sich wieder in eines
seiner Grundmotive,- ihm ergeht es wie jenem Tankred im »Be-
freiten Jerusalem«, der die Geliebte verwundet, wenn er einen Ast
vom Baume schlägt, weil es sein Schicksal ist, ihr überall und
in allen Dingen zu begegnen. Wie vergeblidr das Bemühen bleibt,
über seinen Schatten zu springen, läßt sich an dem großen Roman
Schnitzlers »Der Weg ins Freie« gut erweisen. Es ist kaum anzu-
nehmen, daß er die bewußte Absicht hatte, in den beiden Literaten
des Buches, Bermann und Nürnberger, sein eigenes künstleri-
sches Porträt zu zeidmen, durch ihre Pläne und Werke sein eigenes
Programm für die Zukunft mitzuteilen. Es darf nicht einmal für
sicher gelten, daß er seine künftigen Stoffe damals schon gewählt
hatte,- um so reizvoller ist es, ihnen in der ersten Gestalt zu be-
gegnen — früher vielleicht als der Dichter selbst — und ein Stüde
seiner Arbeitsmethode zu erraten.
Die politische Komödie Bermanns und ihr Versuch, gegen
beide Parteien gerecht zu sein, der daran scheitert, daß der Dichter
innerlich beiden Parteien Unredit gibt, ist in »Professor Bernhardi«
unschwer wiederzuerkennen. Der ablehnende und ironische Aus-
gang des Stückes, der viele nicht befriedigt hat, erklärt sich aus
der Selbstkritik, die der Dichter durch seine Geschöpfe an sich üben
ließ. Gleichzeitig sind in »Professor Bernhardi« die Grundlinien von
Nürnbergers Roman aufbewahrt geblieben: » . . . und zum
Helden seines Buches hatte er einen tätigen und braven Mann ge-
wählt, der . . , auf der Höhe Überblick und Einsicht gewann und
. . . ins Leere hinabstürzte.« Schnitzler hat dem einen Autor
die Tendenz, dem anderen den Aufbau seines Werkes leihen
müssen, oder richtiger gesagt, als er daran ging, sein Werk zu
schaffen, hatte er die Teile schon da und dort ausgestreut. Schöpfen
Hanns Sachs
Die Motivgestaltung bei Schnitzler.
Von HANNS SACHS, Wien.
Die folgenden Ausführungen erheben nicht den Anspruch als
Beitrag zur KiinstlerpsyBiologie zu gelten. Ich habe es mir
— von einer Ausnahme abgesehen — nicht gestattet, von
den Resultaten der Psychoanalyse Gebrauch zu machen und mich
darauf beschränkt, ihre Anschauungsweise anzuwenden. Durch diese
Methode läßt sich zwar kein neues Verständnis des künstlerischen
Schaffens gewinnen, aber vielleicht eine wichtige Vorarbeit dafür
leisten,- es soll damit der Beweis erbracht werden, daß im Schöpfungs-
akte des Künstlers, wie sonst im Seelenleben, alles, das Kleinste
wie das Größte, dem Gesetze der Determination unterworfen ist.
Eine Abzweigung vom »Weg ins Freie«.
Es ist dem Dichter nicht möglich, den Kreis zu durchbrechen,
den seine Pläne und Entwürfe um ihn gezogen haben. Wonach er
auch greifen mag, in seiner Hand verwandelt es sich wieder in eines
seiner Grundmotive,- ihm ergeht es wie jenem Tankred im »Be-
freiten Jerusalem«, der die Geliebte verwundet, wenn er einen Ast
vom Baume schlägt, weil es sein Schicksal ist, ihr überall und
in allen Dingen zu begegnen. Wie vergeblidr das Bemühen bleibt,
über seinen Schatten zu springen, läßt sich an dem großen Roman
Schnitzlers »Der Weg ins Freie« gut erweisen. Es ist kaum anzu-
nehmen, daß er die bewußte Absicht hatte, in den beiden Literaten
des Buches, Bermann und Nürnberger, sein eigenes künstleri-
sches Porträt zu zeidmen, durch ihre Pläne und Werke sein eigenes
Programm für die Zukunft mitzuteilen. Es darf nicht einmal für
sicher gelten, daß er seine künftigen Stoffe damals schon gewählt
hatte,- um so reizvoller ist es, ihnen in der ersten Gestalt zu be-
gegnen — früher vielleicht als der Dichter selbst — und ein Stüde
seiner Arbeitsmethode zu erraten.
Die politische Komödie Bermanns und ihr Versuch, gegen
beide Parteien gerecht zu sein, der daran scheitert, daß der Dichter
innerlich beiden Parteien Unredit gibt, ist in »Professor Bernhardi«
unschwer wiederzuerkennen. Der ablehnende und ironische Aus-
gang des Stückes, der viele nicht befriedigt hat, erklärt sich aus
der Selbstkritik, die der Dichter durch seine Geschöpfe an sich üben
ließ. Gleichzeitig sind in »Professor Bernhardi« die Grundlinien von
Nürnbergers Roman aufbewahrt geblieben: » . . . und zum
Helden seines Buches hatte er einen tätigen und braven Mann ge-
wählt, der . . , auf der Höhe Überblick und Einsicht gewann und
. . . ins Leere hinabstürzte.« Schnitzler hat dem einen Autor
die Tendenz, dem anderen den Aufbau seines Werkes leihen
müssen, oder richtiger gesagt, als er daran ging, sein Werk zu
schaffen, hatte er die Teile schon da und dort ausgestreut. Schöpfen