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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 2.1913

DOI Heft:
II.5
DOI Artikel:
Hug-Hellmuth, Hermine von; Lorenz, Emil; Reik, Theodor; Špilʹrejn, Sabina Nikolaevna; Klette, Werner; Hárnik, Jenö; Rank, Otto: Vom wahren Wesen der Kinderseele, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.42095#0528

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Vom wahren Wesen der Kinderseele

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Vom wahren Wesen der Kinderseele.
Redigiert von Dr. H. v. HUG-HELLMUTH.
I.
Die Kindheitserinnerungen des Baron de la Motte Fouque.
Es ist ein fast verschollenes Buch, dem ich die nachfolgenden Erinnerungen
des Dichters der »Undine« entnehme, seine »von ihm selbst erzählte«
»Lebensgeschichte« erschien im fahre 1840, drei Jahre vor seinem
Tod, zu einer Zeit, in der sein Ruhm bereits lange verblaßt war und der
auch er, der späte Sproß des sagenhaften Normannenführers Folko, fremd
gegenüberstand. Es liegt uns ganz fern, mit dem Dichter oder mit seinen
Zeitgenossen darüber rechten zu wollen, wer die Schuld an diesem Miß-
verstehen trug, es beschäftigen uns hier nur die darin enthaltenen Kindheits-
erinnerungen und wir haben allen Grund, dem Dichter dafür dankbar zu
sein, daß er uns darin eine Reihe von Erlebnissen aufbewahrt hat, die für
die Kenntnis der Kinderseele von großem Interesse sind.
Fouque, Enkel eines Generals Friedrichs des Großen und Patenkind
des Königs, verbradite seine Kinderjahre in Brandenburg, später in Sacro
(Sacrow) und Lentzke. Nach Brandenburg führen auch» seine ersten Er*
innerungen; »Ein halberwachsener Vetter, auf dem Brandenburger Ritter*
kollegium erzogen und dem Knaben besonders lieb, hatte auch einstmal in
den Ferien dort Unterkommen gefunden und neckte den kleinen Fritz mit
allerhand Spässen. Fritz, um des ihn störenden Eindrucks loszuwerden, sah
auf einen an der Wand hängenden Kupferstich in großem Format, worauf
neben den Wappenschildern des Havelberger Domkapitels, zu welchem sein
Vater gehörte, die zwei bärtigen Schutzheiligen desselben abgebildet waren.
Mit eins überkam ihn eine seltsame Rührung, Tränen drangen in seine
Augen. Der fröhliche Vetter sagte mit unwilligem Lachen: ,Schäme dich,
Fritz, du heulst, weil ich mit dir spasse/ ,Ich weine nicht über dich/
antwortete Fritz, ,ich weine über das heilige Bild.' — Er ist noch oft*
mals darüber geneckt worden, als sei dies nur eine alberne Ausrede ge-
wesen, dennoch war es wahrhaft wahr. Mache daraus ein Psycholog, was
er kann.« (p. 6 f.)
Um dieser Einladung des Dichters — vielleicht als der erste
Psychologe — nachzukommen, stellen wir gleich ein zweites, sich eng damit
berührendes Stückchen hieher, um dann beide gemeinsam zu analysieren.
Fouque erzählt <p. 11 f.) von einer »schweren Krankheit, Keuchhusten«,
die er zu überstehen hatte.
»Seltsamlicherweise verlangte dabei das krankende Kind nach einem
gewissen oder vielmehr sehr ungewissen alten Buch, was er eben nicht
näher zu bezeichnen wußte. Ihm schwebte dabei ein Bild vor, wo eine
Frau hoch auf eines kegelförmigen Berges Gipfel saß. Zu beiden Seiten
unten standen zwei langbärtige Mannsgestalten und schauten nach ihr hinauf,
ob als ihre Wächter, ob als ihre Verfolger, ob als sie Anbetende? —
wahrscheinlich das letztere, denn es mochte wohl ein katholisches Andachts-
buch gewesen sein, eine Heilige auf dem Titelblatt illustrierend und wer
weiß wie eben unter die weibliche Dienerschaft von Sacro geraten. Denn
dort hatte es der Knabe früher gesehen. Aber Fritz knüpfte daran seit*
samlich romantische Träume, wie etwa an jenes Kapitelbild in der Branden-
burger Kinderstube, und wollte sie nun im fiebrigen Zustand entziffern.

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