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J. Sadger
Über das Unbewußte und die Träume bei Hebbel.
Von Dr. J, SADGER, Wien.
I.
Wer Hebbel bewundern und lieben lernen will, ohne immer
wieder gestört zu werden durch ausgeklügelte Sexualprobleme, der
muß ihn in seinem Tagebuch studieren. Dort wird er den ganzen
Reichtum des Dichters, die Fülle seiner Ideen und merkwürdigen
Verknüpfungen, den befremdenden Tiefsinn und vor allem eine Reihe
von Erkenntnissen finden, welche die moderne Psychologie des
Unbewußten erst wieder entdeckte. Kein zweiter Poet — man darf
es heute ruhig aussprechen — hat so viel vom Unbewußten ver-
standen und seinen Beziehungen zur Dichtkunst und zum Liebes*
leben als Friedrich Hebbel. Von diesem seinen Wissen, durch das
er den Zeitgenossen in manchen Punkten fast um ein volles Jahr*
hundert voraus war, wollen die folgenden Zeilen berichten.
Kaum hatte der Jüngling die Universität bezogen, so notiert
das Tagebuch: »Cogito, ergo sum,- bin ich nicht viel mehr in Ge*
walt des in mir Denkenden, als dieses in meiner Gewalt ist?« Und
zwei Jahre später: »Es ist wahrlich noch die Frage, ob es ein reines
inneres Leben, d. h. ein bewußtes, denn das unbewußte ist doch
nicht sowohl Leben, als Lebensnahrung gibt?« Endlich nach der
Lektüre von Emilia Galotti: »Das Bewußtsein hat an allem wahr*
halt Großen und Schönen, welches vom Menschen ausgeht, wenig
oder gar keinen Anteil,- er gebiert es nur, wie eine Mutter ihr
Kind, das von geheimnisvollen Händen in ihrem Schoße ausgebildet
wird, und das, ob es gleich Fleisch von ihrem Fleisch ist, ihr den*
noch in unabhängiger Selbständigkeit entgegen tritt, sobald es zu
leben anfängt,- der Handwerker weiß allerdings mit Bestimmtheit,
warum er jetzt zum Hammer und jetzt zum Hobel greift, aber er
machtauch nur Tische und Stühle. Das Bewußtsein ist nicht produktiv,
es schafft nicht, es beleuchtet nur wie der Mond,- die Philosophie
beweist nicht gegen diese Behauptung, denn sie entwickelt nichts
als sich selbst, sie zeugt nur ihre eigenen Prozesse.« Darum sei die
Emilia Galotti trotz ihres reichen Gehalts dennoch kein Gedicht.
»Man könnte sich vielleicht so ausdrüdcen: es erreicht das Ziel der
Poesie, insofern dies ein allgemeines sein mag, aber es geht nicht den
Weg der Poesie,- der Dichter schulmeistert das Musenroß und es
treibt im ganzen freilich, wohin er will, aber im einzelnen immer
entweder zu weit oder nicht weit genug. Gerade dies ist der Punkt,
worin der echte Dichter sich von seinem nächsten Nachbar, der
Lessing gewiß war, unterscheidet: bei jenem ist die Begeisterung
heiliges Feuer, das vom Himmel fällt und das er gewähren läßt,-
bei diesem ist es ein Flämmchen, welches er selbst anmacht und
welches nun, je nachdem die Stoffe sind, womit er es ernährt, bald
J. Sadger
Über das Unbewußte und die Träume bei Hebbel.
Von Dr. J, SADGER, Wien.
I.
Wer Hebbel bewundern und lieben lernen will, ohne immer
wieder gestört zu werden durch ausgeklügelte Sexualprobleme, der
muß ihn in seinem Tagebuch studieren. Dort wird er den ganzen
Reichtum des Dichters, die Fülle seiner Ideen und merkwürdigen
Verknüpfungen, den befremdenden Tiefsinn und vor allem eine Reihe
von Erkenntnissen finden, welche die moderne Psychologie des
Unbewußten erst wieder entdeckte. Kein zweiter Poet — man darf
es heute ruhig aussprechen — hat so viel vom Unbewußten ver-
standen und seinen Beziehungen zur Dichtkunst und zum Liebes*
leben als Friedrich Hebbel. Von diesem seinen Wissen, durch das
er den Zeitgenossen in manchen Punkten fast um ein volles Jahr*
hundert voraus war, wollen die folgenden Zeilen berichten.
Kaum hatte der Jüngling die Universität bezogen, so notiert
das Tagebuch: »Cogito, ergo sum,- bin ich nicht viel mehr in Ge*
walt des in mir Denkenden, als dieses in meiner Gewalt ist?« Und
zwei Jahre später: »Es ist wahrlich noch die Frage, ob es ein reines
inneres Leben, d. h. ein bewußtes, denn das unbewußte ist doch
nicht sowohl Leben, als Lebensnahrung gibt?« Endlich nach der
Lektüre von Emilia Galotti: »Das Bewußtsein hat an allem wahr*
halt Großen und Schönen, welches vom Menschen ausgeht, wenig
oder gar keinen Anteil,- er gebiert es nur, wie eine Mutter ihr
Kind, das von geheimnisvollen Händen in ihrem Schoße ausgebildet
wird, und das, ob es gleich Fleisch von ihrem Fleisch ist, ihr den*
noch in unabhängiger Selbständigkeit entgegen tritt, sobald es zu
leben anfängt,- der Handwerker weiß allerdings mit Bestimmtheit,
warum er jetzt zum Hammer und jetzt zum Hobel greift, aber er
machtauch nur Tische und Stühle. Das Bewußtsein ist nicht produktiv,
es schafft nicht, es beleuchtet nur wie der Mond,- die Philosophie
beweist nicht gegen diese Behauptung, denn sie entwickelt nichts
als sich selbst, sie zeugt nur ihre eigenen Prozesse.« Darum sei die
Emilia Galotti trotz ihres reichen Gehalts dennoch kein Gedicht.
»Man könnte sich vielleicht so ausdrüdcen: es erreicht das Ziel der
Poesie, insofern dies ein allgemeines sein mag, aber es geht nicht den
Weg der Poesie,- der Dichter schulmeistert das Musenroß und es
treibt im ganzen freilich, wohin er will, aber im einzelnen immer
entweder zu weit oder nicht weit genug. Gerade dies ist der Punkt,
worin der echte Dichter sich von seinem nächsten Nachbar, der
Lessing gewiß war, unterscheidet: bei jenem ist die Begeisterung
heiliges Feuer, das vom Himmel fällt und das er gewähren läßt,-
bei diesem ist es ein Flämmchen, welches er selbst anmacht und
welches nun, je nachdem die Stoffe sind, womit er es ernährt, bald