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Sigm. Freud
des »kleinen Hans« erfahren, ist die für den Totemismus wertvolle
Tatsache, daß das Kind unter solchen Bedingungen einen Anteil
seiner Gefühle von dem Vater weg auf ein Tier verschiebt.
Die Analyse weist die inhaltlich bedeutsamen wie die zu-
fälligen Assoziationswege nach, auf welchen eine solche Verschie-
bung vor sich geht. Sie läßt auch die Motive derselben erraten.
Der aus der Nebenbuhlerschaft bei der Mutter hervorgehende Haß
kann sich im Seelenleben des Knaben nicht ungehemmt ausbreiten,
er hat mit der seit jeher bestehenden Zärtlichkeit und Bewunderung
für dieselbe Person zu kämpfen, das Kind befindet sich in doppel-
sinniger — ambivalenter — Gefühlseinstellung gegen den Vater
und schafft sich Erleichterung in diesem Ambivalenzkonflikt, wenn
es seine feindseligen und ängstlichen Gefühle auf ein Vatersurrogat
verschiebt. Die Verschiebung kann den Konflikt allerdings nicht in
der Weise erledigen, daß sie eine glatte Scheidung der zärtlichen
von den feindseligen Gefühlen herstellt. Der Konflikt setzt sich
vielmehr auf das Verschiebungsobjekt fort, die Ambivalenz greift
auf dieses letztere über. Es ist unverkennbar, daß der kleine Hans
den Pferden nicht nur Angst, sondern auch Respekt und Interesse
entgegenbringt. Sowie sich seine Angst ermäßigt hat, identifiziert er
sich selbst mit dem gefürchteten Tier, springt als Pferd herum und
beißt nun seinerseits den Vater1. In einem anderen Auflösungs-
stadium der Phobie macht es ihm nichts, die Eltern mit anderen
großen Tieren zu identifizieren2.
Man darf den Eindruck aussprechen, daß in diesen Tierphobien
der Kinder gewisse Züge des Totemismus in negativer Ausprägung
wiederkehren. Wir verdanken aber S. Ferenczi die vereinzelt
schöne Beobachtung eines Falles, den man nur als positiven Tote-
mismus bei einem Kinde bezeichnen kann3. Bei dem kleinen Arpäd,
von dem Ferenczi berichtet, erwachen die totemistischen Interessen
allerdings nicht direkt im Zusammenhang des Ödipuskomplexes,
sondern auf Grund der narzißtischen Voraussetzung desselben, der
Kastrationsangst. Wer aber die Geschichte des kleinen Hans auf-
merksam durchsieht, wird auch in dieser die reichlichsten Zeugnisse
dafür finden, daß der Vater als der Besitzer des großen Genitales
bewundert und als der Bedroher des eigenen Genitales gefürchtet
wird. Im Ödipus- wie im Kastrationskomplex spielt der Vater die
nämliche Rolle, die des gefürchteten Gegners der infantilen Sexual-
interessen. Die Kastration und ihr Ersatz durch die Blendung ist
die von ihm drohende Strafe4.
1 1. c. P. 37.
2 Die Giraffenphantasie p, 24.
3 S. Ferenczi, Ein kleiner Hahnemann. Intern. Zeitschr. f. ärztl. Psycho^
analyse 1913, I., Nr. 3.
4 Über den Ersatz der Kastration durch die auch im Ödipusmythus ent-
haltene Blendung vergleiche die Mitteilungen von Reitler, Ferenczi, Rank und
Eder in Intern. Zeitschr. f. ärztl. Psychoanalyse 1913, I., Nr. 2.
Sigm. Freud
des »kleinen Hans« erfahren, ist die für den Totemismus wertvolle
Tatsache, daß das Kind unter solchen Bedingungen einen Anteil
seiner Gefühle von dem Vater weg auf ein Tier verschiebt.
Die Analyse weist die inhaltlich bedeutsamen wie die zu-
fälligen Assoziationswege nach, auf welchen eine solche Verschie-
bung vor sich geht. Sie läßt auch die Motive derselben erraten.
Der aus der Nebenbuhlerschaft bei der Mutter hervorgehende Haß
kann sich im Seelenleben des Knaben nicht ungehemmt ausbreiten,
er hat mit der seit jeher bestehenden Zärtlichkeit und Bewunderung
für dieselbe Person zu kämpfen, das Kind befindet sich in doppel-
sinniger — ambivalenter — Gefühlseinstellung gegen den Vater
und schafft sich Erleichterung in diesem Ambivalenzkonflikt, wenn
es seine feindseligen und ängstlichen Gefühle auf ein Vatersurrogat
verschiebt. Die Verschiebung kann den Konflikt allerdings nicht in
der Weise erledigen, daß sie eine glatte Scheidung der zärtlichen
von den feindseligen Gefühlen herstellt. Der Konflikt setzt sich
vielmehr auf das Verschiebungsobjekt fort, die Ambivalenz greift
auf dieses letztere über. Es ist unverkennbar, daß der kleine Hans
den Pferden nicht nur Angst, sondern auch Respekt und Interesse
entgegenbringt. Sowie sich seine Angst ermäßigt hat, identifiziert er
sich selbst mit dem gefürchteten Tier, springt als Pferd herum und
beißt nun seinerseits den Vater1. In einem anderen Auflösungs-
stadium der Phobie macht es ihm nichts, die Eltern mit anderen
großen Tieren zu identifizieren2.
Man darf den Eindruck aussprechen, daß in diesen Tierphobien
der Kinder gewisse Züge des Totemismus in negativer Ausprägung
wiederkehren. Wir verdanken aber S. Ferenczi die vereinzelt
schöne Beobachtung eines Falles, den man nur als positiven Tote-
mismus bei einem Kinde bezeichnen kann3. Bei dem kleinen Arpäd,
von dem Ferenczi berichtet, erwachen die totemistischen Interessen
allerdings nicht direkt im Zusammenhang des Ödipuskomplexes,
sondern auf Grund der narzißtischen Voraussetzung desselben, der
Kastrationsangst. Wer aber die Geschichte des kleinen Hans auf-
merksam durchsieht, wird auch in dieser die reichlichsten Zeugnisse
dafür finden, daß der Vater als der Besitzer des großen Genitales
bewundert und als der Bedroher des eigenen Genitales gefürchtet
wird. Im Ödipus- wie im Kastrationskomplex spielt der Vater die
nämliche Rolle, die des gefürchteten Gegners der infantilen Sexual-
interessen. Die Kastration und ihr Ersatz durch die Blendung ist
die von ihm drohende Strafe4.
1 1. c. P. 37.
2 Die Giraffenphantasie p, 24.
3 S. Ferenczi, Ein kleiner Hahnemann. Intern. Zeitschr. f. ärztl. Psycho^
analyse 1913, I., Nr. 3.
4 Über den Ersatz der Kastration durch die auch im Ödipusmythus ent-
haltene Blendung vergleiche die Mitteilungen von Reitler, Ferenczi, Rank und
Eder in Intern. Zeitschr. f. ärztl. Psychoanalyse 1913, I., Nr. 2.