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Oskar Pfister
sich gänzlich überworfen, von den Kameraden wolle er mit einer
einzigen Ausnahme nichts wissen. Oft brüte er über seinem Selbst-
mord. Wenn er nicht hoffen dürfte, in dreiviertel Jahren eine Künste
akademie zu besuchen, so hätte er sich längst das Leben genommen.
Der Besuch des Institutes, dem er angehöre, sei ihm fast unmög-
lieh geworden,- erst diese Woche habe er aus innerem Zwang ein
paar Tage geschwänzt. Seine Lage sei eine furchtbare, er könne sie
unmöglich drei weitere Quartale ertragen. Daher sei es am besten,
er bereite seinem Leben ein Ende. Nietzsche habe ihm den reli-
giösen Halt vollends genommen, alle Lebenswerte seien ihm seither
versunken.
Der Jüngling präsentierte eine Anzahl von Ölgemälden und
Zeichnungen, die ich nach guter analytischer Regel sofort mir
zeigen und erklären ließ. Was ich im ersten Abschnitt des Folgen^
den schildere, ist das Ergebnis der ersten drei Sitzungen,- in der
vierten Besprechung bekundeten neue Bilder die Metamorphose der
Komplexe.
I. Unter der Vorherrschaft der Introversionstendenz ent-
standene Bilder.
1. Selbstporträt.
Zuerst analysierten wir ein Selbstporträt, das am Tag der
ersten Besprechung in zwei bis drei Stunden geschaffen worden war.
Die Zeichnung, im Original 5072:64 Zentimeter groß, ist gut
getroffen, nur wurde der finstere, drohende Gesichtsausdruck, der
unseren angehenden Künstler seit einiger Zeit charakterisierte, durch
ernste Resignation ersetzt1.
Unsere Aufmerksamkeit wandte sich bald der an der Kette
zur Rechten hängenden Gruppe von Köpfen zu. Franz versichert,
sie bedeuten keine bestimmten, ihm bekannten Persönlichkeiten. Aufi-
gefordert, lediglich seine Einfälle mitzuteilen, nennt er sofort zum
Gesichte en face den Vater, zum Haupte links die Mutter, zum
anderen die jüngere Schwester. Alle drei sind ihm, wie er offen
zugibt, direkt verhaßt.
Später führt er aus: Nur der obere Teil des Gesichtes gleicht
etwas dem Vater. Genau besehen entspricht nur die Wölbung
der Stirne und die Nasenwurzel denselben Partien im Antlitz
des Vaters.
Die Nase ist die des älteren Bruders, der, in den Fuß-
stapfen der streng religiösen Mutter gehend, von den Freuden der
Welt abgeschlossen ein stilles, gottergebenes Leben führt.
Die Falten von den Nasenflügeln zu den Mund-
winkeln gehören einem Oheim väterlicherseits, der starb, als Franz
1 In der Reproduktion wurde das Gesicht abgeändert, so weit es ohne
Störung des Verständnisses anging.
Oskar Pfister
sich gänzlich überworfen, von den Kameraden wolle er mit einer
einzigen Ausnahme nichts wissen. Oft brüte er über seinem Selbst-
mord. Wenn er nicht hoffen dürfte, in dreiviertel Jahren eine Künste
akademie zu besuchen, so hätte er sich längst das Leben genommen.
Der Besuch des Institutes, dem er angehöre, sei ihm fast unmög-
lieh geworden,- erst diese Woche habe er aus innerem Zwang ein
paar Tage geschwänzt. Seine Lage sei eine furchtbare, er könne sie
unmöglich drei weitere Quartale ertragen. Daher sei es am besten,
er bereite seinem Leben ein Ende. Nietzsche habe ihm den reli-
giösen Halt vollends genommen, alle Lebenswerte seien ihm seither
versunken.
Der Jüngling präsentierte eine Anzahl von Ölgemälden und
Zeichnungen, die ich nach guter analytischer Regel sofort mir
zeigen und erklären ließ. Was ich im ersten Abschnitt des Folgen^
den schildere, ist das Ergebnis der ersten drei Sitzungen,- in der
vierten Besprechung bekundeten neue Bilder die Metamorphose der
Komplexe.
I. Unter der Vorherrschaft der Introversionstendenz ent-
standene Bilder.
1. Selbstporträt.
Zuerst analysierten wir ein Selbstporträt, das am Tag der
ersten Besprechung in zwei bis drei Stunden geschaffen worden war.
Die Zeichnung, im Original 5072:64 Zentimeter groß, ist gut
getroffen, nur wurde der finstere, drohende Gesichtsausdruck, der
unseren angehenden Künstler seit einiger Zeit charakterisierte, durch
ernste Resignation ersetzt1.
Unsere Aufmerksamkeit wandte sich bald der an der Kette
zur Rechten hängenden Gruppe von Köpfen zu. Franz versichert,
sie bedeuten keine bestimmten, ihm bekannten Persönlichkeiten. Aufi-
gefordert, lediglich seine Einfälle mitzuteilen, nennt er sofort zum
Gesichte en face den Vater, zum Haupte links die Mutter, zum
anderen die jüngere Schwester. Alle drei sind ihm, wie er offen
zugibt, direkt verhaßt.
Später führt er aus: Nur der obere Teil des Gesichtes gleicht
etwas dem Vater. Genau besehen entspricht nur die Wölbung
der Stirne und die Nasenwurzel denselben Partien im Antlitz
des Vaters.
Die Nase ist die des älteren Bruders, der, in den Fuß-
stapfen der streng religiösen Mutter gehend, von den Freuden der
Welt abgeschlossen ein stilles, gottergebenes Leben führt.
Die Falten von den Nasenflügeln zu den Mund-
winkeln gehören einem Oheim väterlicherseits, der starb, als Franz
1 In der Reproduktion wurde das Gesicht abgeändert, so weit es ohne
Störung des Verständnisses anging.