Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 2.1913

DOI Heft:
II.5
DOI Artikel:
Hug-Hellmuth, Hermine von; Lorenz, Emil; Reik, Theodor; Špilʹrejn, Sabina Nikolaevna; Klette, Werner; Hárnik, Jenö; Rank, Otto: Vom wahren Wesen der Kinderseele, [3]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.42095#0550

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Multatuli über die Wißbegierde

535

»Femke begann: — Gott schuf die Welt . . . — Was tat er vor
dieser Zeit, Femke? — Das weiß ich nicht,«
Und beim Gespräche über die heilige Jungfrau:
»Aber Femke, was ist das denn eigentlich , , , eine Jungfrau?
Femke errötete. ~ Das ist jemand, der niemals ein kleines Kind gehabt
hat . . . Ich? fragte Walther verwundert. — I nein doch, närrischer Junge , , .
es muß ein Mäddien sein. — Bist du eine Jungfrau? — Na gewiß . , .
Femke sprach die reine Wahrheit , . . gewiß . . . weil ich nicht ver-
heiratet bin.«
»Und bei derselben Gelegenheit wollte er sie dann gleich fragen, was
ein ,Lüstling7 wäre und ein ,Brautbett7 und ,Keuschheit7, alles Wörter, die
er in Bilderdijks ,Floris7 kennen gelernt hatte, und weiter solche Sachen.
Alles, was er nicht wußte und doch gern wissen wollte, würde er sie
fragen und erwartete er auch nicht, daß das ungelehrte Mädchen ihm in
allem werde auf den Weg helfen können, es war ihm bereits eine herrliche
Aussicht, all diese Mysterien mit ihr besprechen zu dürfen. Also begann
sich in dem Knaben das Ineinanderfließen der verschiedenen Arten von
Entwicklung zu offenbaren, auf die ich früher schon hinwies. Ich behaupte
noch immer nicht, daß wir es hier mit eigentlicher Liebe zu tun haben,
doch gewiß ist, daß Walthers Neigung für Femke, welchen Rang sie denn
auch auf psychologischen und — warum sollten wir es leugnen? — auch
auf stofflichem Gebiet einnehmen mochte, sich verschmolz mit der Lust zu
untersuchen.«
Eine andere Stelle zeigt, wie sich die infantile Neugierde nach der
Herkunft des Menschen in philosophische und theologische Spekulationen
kleidet: »Er hatte Femke gefragt, was Gott tat, ehe er die Welt schuf.
Diese Frage nämlich hatte ihn schon lange beschäftigt. Er konnte sich das
Nichtsein nicht vorstellen und es verdroß ihn, nicht Vordringen zu können
bis zu der ersten LIrsache der Dinge .... Meister Pennewip hat einen
Vater und eine Mutter gehabt, seufzte er . . . gut! , , , Dieser erste Herr
Pennewip muß auch einen Vater gehabt haben , . . und dieser wieder , . ,
und der auch . . , und dieser wieder . . . ja, immer so weiter . . . aber wer
ist der erste Pennewip gewesen? . , . Ja, Walther wollte so gerne wissen,
was seit der Menschen Bestehen von allen Weltweisen gesucht ist. Es
war ihm nicht übel zu nehmen, daß er von der kindlichen Neigung nicht
loskommen konnte, sich einen »Beginn« zu denken. Und wie viele andere
— älter, aber nicht viel weiser als er — verzweifelte er nicht. Einmal
würde er es erfahren dachte er . , .«
»Denen, die Walther kindisch fanden, muß ich sagen, daß ich ihn
nicht viel dümmer finde als Plato, Kant und ihresgleichen. Und für diese
Herren kann nicht Jugend angeführt werden als mildernder LImstand.«
»Nachdem ich also erst auf die dürren offiziellen Lügen der Historie
gewiesen habe, werde ich zum Kontrast zurückkommen auf die kindliche
Aufrichtigkeit, die da durchstrahlt in den Legenden aus der Jugend uns
seres Geschlechtes, und danach zeigen, wie der Knabe Walther, gleichwie
das Kind »Menschheit«, vorwärts getrieben wurde durch eine dreidoppelte
Kraft, durch Bedürfnis nach Liebe, nach Wissenschaft und nach Kampf.«
»Und auch der kleine Walther, unbewußt erwachend aus dem Schlaf
seiner ersten Jahre, wollte wissen. Was Adam von einem Baum glaubte
pflücken zu können, was Faust zu vernehmen gedachte von Mephisto,
unser kleiner Junge wollte Femke danach fragen, Pater Jansen , . . einerlei
wen. Es war Durst nach Erkenntnis, Dieser Durst mußte gelöscht werden,
 
Annotationen