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Dr. Theodor Reik
Suchen wir uns die historische Reihenfolge der Vorherrschaft
dieser Libidoströmungen klarzulegen, so werden wir erkennen, daß
die Tötung des Vaters, des Totemtieres, zeitlich der Vergewaltig
gung der Mutter, die sich in der menschennäheren Gestalt der
Sphinx zeigt, voranzugehen scheint. Gerade die Bestandteile der
Mischgestalt aber, in der anscheinend der tierisch-männliche Untere
leib das ältere Element ist und der menschlich-weibliche das jüngere,
läßt uns vermuten, daß hier so wie in der ganzen Sage eine Wieder*
kehr alten, verdrängten Gutes stattgefunden hat. Die Verdichtung
der Tötung des Vaters und des sexuellen Verkehrs mit der Mutter,
die sich dann durch die Spaltung in der Oedipussage in zwei ge*
trennte Aktionen auflöst, weist unseres Erachtens in eine Urzeit
der Menschheit zurück, in der sich die Liebeswahl der Jugend nicht
so entschieden wie jetzt für das Weib erklärte, in der aber auch
Liebesspiel und Kampf noch nicht so scharf voneinander geschieden
waren wie heute: in ein Stadium, das der sadistisch*analen Periode
in der Libidoentwiddung des einzelnen analog wäre. Bildet so die
Möglichkeit der Rückkehr zu dieser atavistischen Entwicklungsphase
der Triebentwidklung die Vorbedingung für das Zustandekommen
der Verdichtung, so müssen wir doch annehmen, daß der erste An*
stoß zur Schöpfung des Oedipusmythus die Phantasie vom (sadi-
stisch gefärbten) Geschlechtsverkehre mit der Mutter, zu der dann
die vom Vater als dem Störenden hinzutrat, war. Wie die Ur*
gestalt jedes Mythus ist auch diese nichts weiter als die objekti-
vierte Halluzination erfüllter Wünsche. Wir wissen aus der indi*
viduellen Analyse, daß diese Formel dem biogenetischen Gesetze
entspricht, da das Kind ursprünglich die Wünsche, welche die Realität
ihm versagt, sich halluzinatorisch erfüllt, Haben wir den Oedipus*
mythos so auf seinen ersten Keim, die phantasierte gewaltsame ge-
schlechtliche Vereinigung mit der Mutter zurückgeführt, so wird es
uns nicht überraschen, wenn wir noch in einer seiner spätesten Ge*
staltungen an bedeutsamer Stelle ein Anzeichen jener Abstammung
finden: ich meine den von Freud als Ausgangspunkt seiner Analyse
gewählten Traum, von dem Jokaste bei Sophokles spricht:
». . . . viele Menschen sahen auch im Traume schon
Sich zugesellt der Mutter . . . .«
So besteht also Freuds Behauptung, die Sage vom Oedipus
sei einem uralten Traumstoffe entsprossen, zu Recht, wie wir aus
der geschichtlichen und psychologischen Rekonstruktion der späten
Sage bewiesen zu haben glauben. Der allgemeinen Inzestphantasie
der Masse ersteht ein drohendes Hindernis der Gestaltung und
halluzinatorischen Befriedigung durch die Störung, die vom Vater
erwartet werden darf: das gewaltige Ereignis des Vatermordes
wirft, in der Form des im Traume auftauchenden Bildes von der
gewaltsamen Beseitigung des Störers seine Schatten voraus. Der
Besitz der Mutter ist an die Bedingung der Vatertötung so sehr
Dr. Theodor Reik
Suchen wir uns die historische Reihenfolge der Vorherrschaft
dieser Libidoströmungen klarzulegen, so werden wir erkennen, daß
die Tötung des Vaters, des Totemtieres, zeitlich der Vergewaltig
gung der Mutter, die sich in der menschennäheren Gestalt der
Sphinx zeigt, voranzugehen scheint. Gerade die Bestandteile der
Mischgestalt aber, in der anscheinend der tierisch-männliche Untere
leib das ältere Element ist und der menschlich-weibliche das jüngere,
läßt uns vermuten, daß hier so wie in der ganzen Sage eine Wieder*
kehr alten, verdrängten Gutes stattgefunden hat. Die Verdichtung
der Tötung des Vaters und des sexuellen Verkehrs mit der Mutter,
die sich dann durch die Spaltung in der Oedipussage in zwei ge*
trennte Aktionen auflöst, weist unseres Erachtens in eine Urzeit
der Menschheit zurück, in der sich die Liebeswahl der Jugend nicht
so entschieden wie jetzt für das Weib erklärte, in der aber auch
Liebesspiel und Kampf noch nicht so scharf voneinander geschieden
waren wie heute: in ein Stadium, das der sadistisch*analen Periode
in der Libidoentwiddung des einzelnen analog wäre. Bildet so die
Möglichkeit der Rückkehr zu dieser atavistischen Entwicklungsphase
der Triebentwidklung die Vorbedingung für das Zustandekommen
der Verdichtung, so müssen wir doch annehmen, daß der erste An*
stoß zur Schöpfung des Oedipusmythus die Phantasie vom (sadi-
stisch gefärbten) Geschlechtsverkehre mit der Mutter, zu der dann
die vom Vater als dem Störenden hinzutrat, war. Wie die Ur*
gestalt jedes Mythus ist auch diese nichts weiter als die objekti-
vierte Halluzination erfüllter Wünsche. Wir wissen aus der indi*
viduellen Analyse, daß diese Formel dem biogenetischen Gesetze
entspricht, da das Kind ursprünglich die Wünsche, welche die Realität
ihm versagt, sich halluzinatorisch erfüllt, Haben wir den Oedipus*
mythos so auf seinen ersten Keim, die phantasierte gewaltsame ge-
schlechtliche Vereinigung mit der Mutter zurückgeführt, so wird es
uns nicht überraschen, wenn wir noch in einer seiner spätesten Ge*
staltungen an bedeutsamer Stelle ein Anzeichen jener Abstammung
finden: ich meine den von Freud als Ausgangspunkt seiner Analyse
gewählten Traum, von dem Jokaste bei Sophokles spricht:
». . . . viele Menschen sahen auch im Traume schon
Sich zugesellt der Mutter . . . .«
So besteht also Freuds Behauptung, die Sage vom Oedipus
sei einem uralten Traumstoffe entsprossen, zu Recht, wie wir aus
der geschichtlichen und psychologischen Rekonstruktion der späten
Sage bewiesen zu haben glauben. Der allgemeinen Inzestphantasie
der Masse ersteht ein drohendes Hindernis der Gestaltung und
halluzinatorischen Befriedigung durch die Störung, die vom Vater
erwartet werden darf: das gewaltige Ereignis des Vatermordes
wirft, in der Form des im Traume auftauchenden Bildes von der
gewaltsamen Beseitigung des Störers seine Schatten voraus. Der
Besitz der Mutter ist an die Bedingung der Vatertötung so sehr