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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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Pfister, Oskar: Die Entwicklung des Apostels Paulus: eine religionsgeschichtliche und psychologische Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0256
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Dr. O. Pfister

Gemeinde, nach der im Gesetz vorgeschriebenen Gerechtigkeit un-
tadelig« (Phil. 3, 5 und 6>. Im jüdischen Wesen übertraf er viele
Altersgenossen seines Volkes <Gal. 1, 14) an übertriebenem Eifer
für die väterlichen Überlieferungen.

Soweit wir die juvenile Frömmigkeit des Paulus kennen, ist
sie echt jüdisch. Andeutungen genügen: Jüdisch ist die religiöse
Grundstimmung, ein Bangen vor Gott im Bewußtsein ungenügender
Erfüllung des mosaischen Gesetzes, ein brennendes Verlangen, die
schmerzlich empfundene Minderwertigkeit durch ostentative Leistungen
zu überwinden, also ein juristisches und knechtisches Verhalten
gegen Gott, die Psychologie des überschuldeten Kleinbürgers ins
Religiöse verpflanzt. Was Paulus vom Normaltypus unterscheidet,
ihn vor seinen pharisäischen Standesgenossen auszeichnet, ist wohl
die ernstere Grundstimmung, die nie in stolzes Pochen auf Werke
umschlug, es ist die stärkere Angst, die von feineren Gewissens-
regungen Zeugnis ablegt, und ihr Abwehrprodukt, der verschärfte
Fanatismus. In allen diesen Äußerungen des Nomismus finden wir
nichts unjüdisches, aber es ist wohl zu berücksichtigen, daß wir nur
äußerst wenig über die vordamaszenische Frömmigkeit und ihren
unbewußten Hintergrund wissen.

Auch der Haß gegen das Christentum läßt sich mit jüdischen
Gedanken in Beziehung setzen. Paulus selbst beruft: sich Gal. 3,
10 und 13 auf zwei Gesetzesstellen: Deut. 27, 26: »Verflucht,
wer nicht bleibt in alfem, was im Gesetzbuch geschrieben steht, daß
er es tue!« und Deut. 21,23: »Verflucht ist jeder, der am Holze hängt.«

b) Nach der Bekehrung.

Kaum schwieriger ist die Frage, welche Vorstellungen des
Christen Paulus Parallelen im jüdischen Glaubensleben aufweisen.
Die Erlösungsfrömmigkeit trägt jederzeit die Stigmata der früheren
Gebundenheit an sich. Der Apostel bestätigt diesen Satz

a) in bezug auf die in der Erlösung besiegten, die Er»
lösungsbedürftigkeit erzeugenden Mächte,- und zwar

erstlich die im Menschen liegende sündliche Macht, das Fleisch.
Bekanntlich redet Paulus von der sarx nicht immer in gleichem
Sinne. Sie ist Stoff in der Verbindung »Fleisch und Blut« <1. Kor. 15,
50) und einigen anderen Zusammenhängen, bedeutet aber nach
Schmiedel meistens »die ganze niedere Seite des Menschen und
steht somit auf Seite der Sünde gegenüber dem Nus und Pneuma«
(Handkommentar, Exkurs zu II. Kor. 7, 1>. Sie ist von Natur
sündhaft, geistwidrige Potenz (Holtzmann, Lehrb. d. neutest.
Theol. II, 21), die wider den Geist gelüstet (Gal. 5, 17) und nicht
anders kann, als in die Sünde treiben. Der erlöste Mensch hat nach
Gal. 5, 24 sein Fleisch gekreuzigt samt den Lüsten und Begierden.
Er wandelt, obwohl im Fleische, so doch nicht nach dem Fleische
(II. Kor. 10, 3>, er ist nicht mehr fleischlich (Rom. 8, 9>.
 
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