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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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Pfister, Oskar: Die Entwicklung des Apostels Paulus: eine religionsgeschichtliche und psychologische Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0257
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Die Entwicklung des Apostels Paulus

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Ist dies jüdisch gedacht? Schmiedel läßt höchstens die milderen
Sätze für alttestamentlich gelten (Komm, a. a. O. 255). »Das
Fleisch ist nach dem Alten Testament schwach und der Verführung
ausgesetzt, aber nicht positiv und aktiv sündig.« Im nachbiblischen
Judentum verschärfte sich zwar der Gegensatz von Fleisch und
Geist, doch wird das Fleisch nicht als solches Träger der Sünde
<Bertholet, Die Religion in Geschichte und Gegenwart, s. v. Fleisch).
Weinei gibt an, das Judentum sei dazu übergegangen, das radikale
Böse im Menschen auf die Vererbung eines »bösen Keimes« im
Fleische des Menschen zurückzuführen (Weinei, Bibi. Theol. des
N. T. 35),- als Belege führt er Baruch und Esra an. Allein beide
Apokalypsen entstanden erst nach der Zerstörung Jerusalems (Fiebig,
Die Rel. in Gesch. u. Gegenwart, I, 519, Holtzmann nennt sie »nach*
christlich«, I, 75). Jedenfalls ist die paulinische Lehre vom Fleisch nicht
genuin jüdisch, wenn sie auch von manchen Juden vertreten wurde.

Der Erlösung bedarf der Mensch nach Paulus sodann, weil
durch Adams Fehltritt Sünde und Tod in die Menschheit kamen,
und die Schuld des Stammvaters den Nachkommen angerechnet
wird (Lipsius, Handkomm, zu Röm, 5, 14, Holtzmann 44). Finden
wir diese Vorstellung, die nach Jülicher (Die Schriften des N. T. II,
30) ungefähr auf die kirchliche Idee der Erbsünde hinausläuft, inner*
halb des Judentums nachweisbar? Nach Immer leitete in der Tat
die spätere jüdische Theologie die Sündhaftigkeit und den Tod von
der Übertretung des ersten Menschenpaares ab, was in Sap. 2, 24
und Sirac. 25, 23 ausgedrückt sein soll (Immer, Theol. des N. T.
256). In Wirklichkeit steht an der ersteren Stelle nichts von Erb-
sünde gesagt. »Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, der
Tod ist aber durch den Neid des Teufels in die Welt gekommen,
und alle, die sein Teil sind, erfahren ihn« — das ist alles. Somit
kann auch die Lehre von der Zurechnung der Sünde Adams nicht
als jüdisches Erbgut in Betracht gezogen werden.

Dagegen erkennen wir in der Erlösung als einer Befreiung
von Gottes gerechtem Zorn (Röm. 5, 9) ein Motiv, das uns
in der jüdischen Welt seit den Tagen der ersten Schriftpropheten
häufig unter die Augen kommt. Es dürfte überflüssig sein, die tief*
greifende Bedeutung dieses Parallelismus1 weiter nachzuweisen.
Auch der willkürliche, despotische Gott des Paulus, der verstockt,
wen er will (Röm. 9, 18), findet seinesgleichen in der Gesetzes*
religion (vgl. Ex. 4, 21).

Von Wichtigkeit ist sodann die Unfähigkeit des Menschen
zur Erfüllung aller göttlichen Forderungen (z. B. Ps. 19, 13).

ß) Zweitens halten wir Umschau, ob der Erlösungsprozeß,
den Paulus erlebt und schildert, Züge enthält, die uns vom Juda*
ismus her bekannt sind.

1 Die Sehnsucht nach Erlösung vom mosaischen Gesetz, das die Sünde
provoziert <Röm. 7, 7 ff.) und vermehrt, somit nur die Minderwertigkeit steigert,
ist gänzlich unjüdisch.
 
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