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Dr. O. Pfister
Wir erkundigen uns zunächst nach den Analogien, die das
Heilswerk Jesu auf jüdischem Boden besitzt. Nach Auffassung des
Paulus mußte Gott den Tod seines Sohnes verlangen, um seiner
Gerechtigkeit zu genügen <Weinel, 254). Der Tod Jesu erlangt so
die Bedeutung eines Sühnopfers, wenn auch seine Beurteilung als
Passah- <1. Kor. 5, 7> und Bundesopfer <1. Kor. 11, 25) nicht ganz
fehlt. An der berühmten und vielfach gefürchteten Stelle Röm. 3, 25
sind Weizsäcker, Lipsius, Schmiedel, Jülicher und viele andere der
Ansicht, daß zu übersetzen sei: Gott hat ihn <Jesus Christus) hin*
gestellt zu einem Sühnopfer, ähnlich Weinei <254).
Es fragt sich nun, ob dieser Gedanke als mögliche jüdische
Determinante zu berücksichtigen sei. Bekanntlich wurde bestritten,
daß das Alte Testament die Idee der Sühne kenne. Schmiedel gibt
zu, daß der Sühngedanke im Alten Testament streng genommen
nicht vorliege, aber er findet: »Die Idee stellvertretender Sühne lag
bei den alttestamentlichen Opfern, obgleich deren eigentlicher Bedeu-
tung durchaus fremd, besonders beim Sündopfer <Lev. 4, 24/
6, 18 u. a.) und bei dem des großen Versöhnungstages <Lev. 16)
so nahe, daß sie sich für das Volksbewußtsein fast unvermeidlich
einstellen mußten« <Handkomm. 248).
Dies genügt vollkommen, um für des Apostels Theorie vom
Sühnopfertod Jesu eine jüdische Vorlage einstweilen als mögliche
Determinante anzunehmen, wenn auch zunächst nur für den Ge*
danken, daß zur Herbeiführung der Entsündigung eines Menschen
ein fehlerloses Geschöpf seines Lebens beraubt wird. Der Tod des
Gerechten zugunsten seiner Brüder, aber nicht als Sühntod, spielte
in der Makkabäerzeit eine Rolle, jedoch kaum mehr zur Zeit Jesu
(Hollmann, Rel. Volksb. 10). Auch Jes. 53 wurde im Sinne der
stellvertretenden Sühne verstanden.
Von hier ist nun aber ein sehr weiter Schritt bis zur Pro*
klamierung Jesu zum Sühnopfer der Menschheit. Gibt es jüdische
Motive, die die Lücke ausfüllen? Paulus muß, um den Gedanken
zu vollziehen, voraussetzen, Jesus sei mehr als nur ein Mensch
gewesen. Zwar behält der Christus menschliche Züge: Er ist ge*
boren vom Weibe, unter das Gesetz getan (Gal. 4, 4), allein er
kam vom Himmel her und wurde nur in Gleichgestalt des Fleisches
gesandt (Röm. 8, 3, Holtzmann 70). Das Fleisch Jesu war nicht
wie das aller andern sündlich. Daß Paulus sein System selbst zer*
trümmert, indem Erlösung nur durch das Kommen des Christus
ins Fleisch bewirkt werden kann, dieses Fleisch Christi aber doch
nicht alle Eigensdiaften der ndpf besitzt, sondern der wichtigsten,
der Sündhaftigkeit, entbehrt, soll uns jetzt nickt aufhalten. Erwähnen
müssen wir noch, daß der Christus geradezu mit dem Geiste
gleichgesetzt wird (II. Kor. 3, 17) oder mit dem lebendig machenden
Geist (I. Kor. 15, 45) oder mit dem Herrn der Herrlichkeit
(I. Kor. 2, 8) oder mit der Kraft Gottes (I. Kor. 1, 24, Holtz*
mann 80). So nähert sich der Christus einem Gottwesen sehr
Dr. O. Pfister
Wir erkundigen uns zunächst nach den Analogien, die das
Heilswerk Jesu auf jüdischem Boden besitzt. Nach Auffassung des
Paulus mußte Gott den Tod seines Sohnes verlangen, um seiner
Gerechtigkeit zu genügen <Weinel, 254). Der Tod Jesu erlangt so
die Bedeutung eines Sühnopfers, wenn auch seine Beurteilung als
Passah- <1. Kor. 5, 7> und Bundesopfer <1. Kor. 11, 25) nicht ganz
fehlt. An der berühmten und vielfach gefürchteten Stelle Röm. 3, 25
sind Weizsäcker, Lipsius, Schmiedel, Jülicher und viele andere der
Ansicht, daß zu übersetzen sei: Gott hat ihn <Jesus Christus) hin*
gestellt zu einem Sühnopfer, ähnlich Weinei <254).
Es fragt sich nun, ob dieser Gedanke als mögliche jüdische
Determinante zu berücksichtigen sei. Bekanntlich wurde bestritten,
daß das Alte Testament die Idee der Sühne kenne. Schmiedel gibt
zu, daß der Sühngedanke im Alten Testament streng genommen
nicht vorliege, aber er findet: »Die Idee stellvertretender Sühne lag
bei den alttestamentlichen Opfern, obgleich deren eigentlicher Bedeu-
tung durchaus fremd, besonders beim Sündopfer <Lev. 4, 24/
6, 18 u. a.) und bei dem des großen Versöhnungstages <Lev. 16)
so nahe, daß sie sich für das Volksbewußtsein fast unvermeidlich
einstellen mußten« <Handkomm. 248).
Dies genügt vollkommen, um für des Apostels Theorie vom
Sühnopfertod Jesu eine jüdische Vorlage einstweilen als mögliche
Determinante anzunehmen, wenn auch zunächst nur für den Ge*
danken, daß zur Herbeiführung der Entsündigung eines Menschen
ein fehlerloses Geschöpf seines Lebens beraubt wird. Der Tod des
Gerechten zugunsten seiner Brüder, aber nicht als Sühntod, spielte
in der Makkabäerzeit eine Rolle, jedoch kaum mehr zur Zeit Jesu
(Hollmann, Rel. Volksb. 10). Auch Jes. 53 wurde im Sinne der
stellvertretenden Sühne verstanden.
Von hier ist nun aber ein sehr weiter Schritt bis zur Pro*
klamierung Jesu zum Sühnopfer der Menschheit. Gibt es jüdische
Motive, die die Lücke ausfüllen? Paulus muß, um den Gedanken
zu vollziehen, voraussetzen, Jesus sei mehr als nur ein Mensch
gewesen. Zwar behält der Christus menschliche Züge: Er ist ge*
boren vom Weibe, unter das Gesetz getan (Gal. 4, 4), allein er
kam vom Himmel her und wurde nur in Gleichgestalt des Fleisches
gesandt (Röm. 8, 3, Holtzmann 70). Das Fleisch Jesu war nicht
wie das aller andern sündlich. Daß Paulus sein System selbst zer*
trümmert, indem Erlösung nur durch das Kommen des Christus
ins Fleisch bewirkt werden kann, dieses Fleisch Christi aber doch
nicht alle Eigensdiaften der ndpf besitzt, sondern der wichtigsten,
der Sündhaftigkeit, entbehrt, soll uns jetzt nickt aufhalten. Erwähnen
müssen wir noch, daß der Christus geradezu mit dem Geiste
gleichgesetzt wird (II. Kor. 3, 17) oder mit dem lebendig machenden
Geist (I. Kor. 15, 45) oder mit dem Herrn der Herrlichkeit
(I. Kor. 2, 8) oder mit der Kraft Gottes (I. Kor. 1, 24, Holtz*
mann 80). So nähert sich der Christus einem Gottwesen sehr