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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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Winterstein, Alfred von: Die Nausikaaepisode in der Odysee
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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0362
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Dr, Alfred Winterstein

und einer kultivierteren Epoche beherrscht, die Entscheidung herbeU
zuführen versucht, weldie Bestandteile alter Odysseuspoesie, älteren
Einlagen anderen Ursprungs und erweiternden Zusätzen des Dichter^
Bearbeiters zuzuweisen sind. Unsere anders gerichtete Arbeitsme^
thode wird hingegen bestrebt sein, für das mehrfach zusammengesetzte
Problem der Nausikaaepisode eine einheitliche Lösung auf Grund
einer psychologischen Betrachtung zu finden,

O. Rank hat in einer grundlegenden Arbeit über den »Mythus
von der Geburt des Helden« (Leipzig und Wien, 1909) nachgewiesen,
daß ein großer Komplex von Sagen sich trotz der mannigfachsten
Verschiedenheiten im einzelnen auf das Schema einer uralten, unter
allen Kulturvölkern weitverbreiteten mythischen Erzählung zurüdc-
führen läßt, die die wunderbare Geburt und das ruhmvolle Leben
des Helden schildert. Diese Durchschnittssage hat etwa folgende Gestalt
(Rank, Mythus, S, 61):

»Der Held ist das Kind vornehmster Eltern, meist ein Königssohn.

Seiner Entstehung gehen Schwierigkeiten voraus wie Enthaltsamkeit
oder lange LInfruchtbarkeit oder heimlicher Verkehr der Eltern infolge äußerer
Verbote oder Hindernisse. Während der Schwangerschaft oder schon früher
erfolgt eine vor seiner Geburt warnende Verkündigung (Traum, Orakel),
die meist dem Vater Gefahr droht.

Infolgedessen wird das neugeborene Kind, meist auf Veranlassung
des Vaters oder der ihn vertretenden Person, zur Tötung oder Aussetzung
bestimmt,- in der Regel wird es in einem Kästchen dem Wasser übergeben.

Es wird dann von Tieren oder geringen Leuten (Hirten) gerettet und
von einem weiblichen Tiere oder einem geringen Weibe gesäugt.

Herangewachsen, findet es auf einem sehr wechselvollen Wege die
vornehmen Eltern wieder, rächt sich am Vater einerseits, wird anerkannt
anderseits und gelangt zu Größe und Ruhm.«

Auf den ersten Blich wird dem Leser eine Zusammenstellung
dieses Sagenschemas mit dem Phäakenabenteuer des vielwandernden,
vielgewandten Odysseus ziemlich ungereimt erscheinen1, wir glauben

1 Die Kenntnis des angelsächsisch=dänischen Skeafmythus, der die Gründe
züge der Lohengrinsage enthält, ist von einigen Forschern schon dem Tacitus zu<*
geschrieben worden, da dieser im dritten Kapitel der Germania beiläufig die Be-
merkung fallen läßt, daß manche behaupten, Ulysses sei auf seiner langen Irrfahrt
auch den Rhein aufwärts gekommen und hätte dort Asciburgium gegründet <Rank,
op. cit. S. 157). Der Kopenhagner Schulrektor Jonas Ramus hat in seinem tractat.
hist, geogr. quo Ulyssem et Outinum unum eundemque esse ostenditur. Hauniae,
1716, mit vorstehender Überlieferung die nordische Mythe von Odins Einwanderung
aus dem Urland der Äsen nach dem germanischen Norden und seiner Erneuung
der alten Asenburg, Asgard, in Verbindung gebracht. Ebenso soll der Held des
Volksbuches vom Schwanritter, Helias, der Rheinschiffer, ursprünglich Ulysses sein,
der sogar die Totenwelt heimsuchte, von Göttern geschützt, weit umher schiffte,
Städte und Reiche gründete wie, laut späterer Sage bei Solintts, das von ihm be-
nannte Lissabon, Ulixibona. Dort in der Westwelt ist auch bei Homer die elysisdhe
Flur, die Inseln der Seligen bei Hesiod: und so hat nordische Phantasie das elysF
sehe Eiland in der noch Insel <L'isle, Lille, lat. insulae) genannten Heimat des
Schwanenritters zwischen der Schelde und Lys gefunden: in derselben Gegend war
 
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