Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

DOI Artikel:
Winterstein, Alfred von: Die Nausikaaepisode in der Odysee
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0363
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Nausikaaepisode in der Odyssee

351

aber trotzdem, erkennen zu können, wie hier durch alle Ver-
Schiebungen und Verschleierungen, die im Gesamtzusammenhange
des Epos vorgenommen werden mußten, der alte mythische Kern
durchblickt. Diesem Nachweis sollen die nachstehenden Erörtungen
gewidmet sein.

Odysseus hat den Riesen Polyphem, den Sohn des Poseidon
geblendet, deshalb versucht der Gott in seinem Zorn, die Landung
des Odysseus bei den Phäaken zu verhindern. Er zertrümmert das
Floß, auf dem Odysseus die Fahrt von Ogygia, der Insel der Ka-
lypso, angetreten hat, im Angesicht des Gestades der Phäaken, doch
wird dem Odysseus knapp vorher in Gestalt der Meeresgöttin
Leukothea Rettung. <Od. V, 333 u. ff.):

»Aber die Tochter des Kadmos, die lieblich wandelnde Ino,

Leukothea, voreinst ein redender Mensch, aber jetzo
Unter den Göttern verehrt der salzigen Fläche, die sah ihn,-
Und es jammerte sie Odysseus' Leiden und Irrsal.

Da entflog sie dem Rande der See und glich einer Möwe,

Setzte sich ihm zuseiten aufs Floß und sagte die Worte:

Sage, du Armer, warum der Strandersdiütterer Poseidon
Dir so fürchterlich zürnt und säete alle dies Übel?

Aber getrost, er bringt dich nicht um, wie sehr er auch wütet.

Jetzt aber höre mein Wort — du scheinst mir klug und besonnen:

Reiße die Kleider vom Leib,- das Floß überlasse den Winden,-
Denke der Heimat, Freund, und schwimme mit rüstigen Armen
Gegen das Land der Phäaken,- denn dort entgehst du dem Schicksal.
Nimm dies göttliche Tuch, den Schleier, bind ihn dir feste
Unter die Brust, so droht dir umsonst das grause Verderben.

Wenn du jedoch hernach das Land mit Händen ergriffest.

Lös ihn ab und wirf ihn zurück in die dunklen Gewässer,

Weit übers Ufer hinaus, und wende dich selber von dannen.«

Als eine mächtige Woge das Floß auseinanderreißt, schwingt
sich Odysseus auf einen Balken hinauf, »schrittlings als gelt' es ein
Reiten«1, reißt sich die Kleider vom Leib und springt ins Meer.
Dort treibt er zwei Tage und zwei Nächte umher, bis sich am
dritten Tage der Wind legt. Odysseus gelangt, die Brandung

aber schon längst die im atlantischen Meer versunkene hesperische Insel Atlantis
entdeckt worden,

Inwieweit die Insel der Phäaken als Insel der Seligen, als Unterwelt auf-
gefaßt wurde, wird weiter unten erörtert werden. Nach Hagen <Die Schwänen*
sage, Abh. der Berliner Akad. d. Wiss. 1845, S. 513 — 577) ließe sich die Ver-
gleichung des Ulysses mit Helias nodi dadurdi fortführen, daß jener im Schiffe
schlafend allein wieder zur Heimat kommt, die ihm ganz fremd erscheint, während
die angelsächsischririesisdhe Sage von Sceaf, Odins Ahnherrn, den Knaben im
Schifflein schlafend und gerüstet auf der skandinavischen Insel anlangen und dort
König werden läßt. Diese Schiffssage soll wieder an den im schwimmenden Ei
ruhenden Eros der griechischen Kosmogonie erinnern.

1 Vergleiche, was Gilgamesch vor der Landung bei Xisuthros »an der
Mündung der Ströme« an gleicher Stelle der Sage tut <P. Jensen, Das GilgamesdV
epos in der Weltliteratur, Straßburg' 1906, I., S. 33).
 
Annotationen