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Friedrich S. Krauss
stärkte mich vollends Dr. Ranks ausgezeichnete Untersuchung über den
Doppelgänger1, die mir aber auch den Schlüssel zum Verständnis in die
Entstehungs^ und Werdegeschichte des Glaubens gab. Dr. Rank führt neben-
her auch meine Arbeit kurz an, ohne jedoch weiter auf sie einzugehen, ich
selber komme aber auf die seine hier zurück, weil ich aus der folkloristD
sehen Literatur den ihm sowohl als mir sonst abgehenden Hauptbeleg bei-
zubringen vermag, der Ranks psychoanalytischem Scharfsinn in der Er-
fassung eines Problems ein glänzendes Zeugnis mittelbar ausstellt.
Prof. Dr. Alfred Wiedemann, derzeit wohl der bedeutendste Ägyp-
tologe, ließ in der Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische
Volkskunde, Elberfeld 1917, XIV. Jahrg., S. 3—'36, eine Studie über den
»Lebenden Leichnam« im Glauben der alten Ägypter erscheinen. Darin
bespricht er die im Glauben der Ägypter vertretenen verschiedenen selb-
ständigen Seelen des Menschen, je nach ihrer Bedeutung und kommt dann
auf die uns am meisten anziehende zu reden. Ich muß den ganzen Abschnitt
hier wiederholen, doch unter Auslassung der Textstellennachweise, die man
ja im Bedarfsfälle in der Abhandlung nachschlagen kann,
»Wichtiger als alle diese Seelenarten, die wichtigste Seelenform über®
haupt, war der Ka, dessen Bedeutung bereits die alten Ägypter bereits viel
beschäftigt hat. Der Ka war im wesentlichen eine Art Doppelgänger, ein
vollkommenes Gegenstück zu dem Menschen. Er zeigte dessen äußere so
gut wie seine innere Erscheinung, alle seine Eigenschaften und Bedürfnisse.
Er litt infolgedessen Hunger und Durst und bedurfte der gleichen Speisen
und Getränke wie der Mensch, mit welchem er zeitlebens verbunden war.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Ka im einzelnen läßt sich am besten
bei dem Könige verfolgen, für welchen das inschriftliche Material begreife
licherweise reichhaltiger fließt wie für die Untertanen. In dieser Beziehung
sind, vor allem für die Entstehung des Ka und seines menschlichen Trägers
Angaben für den um 1450 v. Chr. herrschenden König Amenophis III. er-
halten geblieben, welche den Vorgang im wesentlidien in folgender Weise
darstellen:
Der Gott Amon=Rä faßte eines Tages den Beschluß, einen Sohn zu
erzeugen, welcher einst König von Ägypten werden sollte. Er nahm die
Gestalt des im Augenblicke das Land beherrschenden Königs Thutinosis IV.
an, begab sich in den Palast zu Theben und fand die Königin auf ihrem
Lager liegend. Sie erwachte durch den schönen Geruch, welchen der aus
dem Weihrauchlande Punt am Roten Meere kommende Gott verbreitete.
Dieser gab sich ihr als Gott zu erkennen und verkehrte, wie die Inschrift
in sehr drastischer Weise schildert, als Gatte mit der Herrscherin. Dann er-
klärt er, der Name des Sohnes, welcher aus ihrem Leibe hervorgehen werde,
werde Amenophis lauten, seine <des Gottes Ra> Seele sei in ihm, er werde
Äpypten beherrschen. Hierauf verließ der Gott die Königin, begab sich zu
dem widderköpfigen Gotte Chnuphis und forderte diesen auf, den Sohn
zu formen, welchen er, Amon, gezeugt habe. Chnuphis folgte dem Befehl
und bildete auf der Töpferscheibe zwei nackte Knaben, welche dem Götter^
kinde und seinem Ka entsprachen. Eine Göttin reichte diesen Gestalten
nadi ihrer Vollendung das Leben. Die hieran sich anschließenden LIrschrifL
teile berichten, wie die Königin in das Geburtszimmer gebracht wurde und
hier von einer Reihe von Gottheiten unterstützt, niederkam, wobei gleiche
zeitig Amenophis und sein Ka in die Erscheinung traten. Die beiden
1 Siehe »Imago« III. Jahrgang 1914, S. 97 ff.
Friedrich S. Krauss
stärkte mich vollends Dr. Ranks ausgezeichnete Untersuchung über den
Doppelgänger1, die mir aber auch den Schlüssel zum Verständnis in die
Entstehungs^ und Werdegeschichte des Glaubens gab. Dr. Rank führt neben-
her auch meine Arbeit kurz an, ohne jedoch weiter auf sie einzugehen, ich
selber komme aber auf die seine hier zurück, weil ich aus der folkloristD
sehen Literatur den ihm sowohl als mir sonst abgehenden Hauptbeleg bei-
zubringen vermag, der Ranks psychoanalytischem Scharfsinn in der Er-
fassung eines Problems ein glänzendes Zeugnis mittelbar ausstellt.
Prof. Dr. Alfred Wiedemann, derzeit wohl der bedeutendste Ägyp-
tologe, ließ in der Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische
Volkskunde, Elberfeld 1917, XIV. Jahrg., S. 3—'36, eine Studie über den
»Lebenden Leichnam« im Glauben der alten Ägypter erscheinen. Darin
bespricht er die im Glauben der Ägypter vertretenen verschiedenen selb-
ständigen Seelen des Menschen, je nach ihrer Bedeutung und kommt dann
auf die uns am meisten anziehende zu reden. Ich muß den ganzen Abschnitt
hier wiederholen, doch unter Auslassung der Textstellennachweise, die man
ja im Bedarfsfälle in der Abhandlung nachschlagen kann,
»Wichtiger als alle diese Seelenarten, die wichtigste Seelenform über®
haupt, war der Ka, dessen Bedeutung bereits die alten Ägypter bereits viel
beschäftigt hat. Der Ka war im wesentlichen eine Art Doppelgänger, ein
vollkommenes Gegenstück zu dem Menschen. Er zeigte dessen äußere so
gut wie seine innere Erscheinung, alle seine Eigenschaften und Bedürfnisse.
Er litt infolgedessen Hunger und Durst und bedurfte der gleichen Speisen
und Getränke wie der Mensch, mit welchem er zeitlebens verbunden war.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Ka im einzelnen läßt sich am besten
bei dem Könige verfolgen, für welchen das inschriftliche Material begreife
licherweise reichhaltiger fließt wie für die Untertanen. In dieser Beziehung
sind, vor allem für die Entstehung des Ka und seines menschlichen Trägers
Angaben für den um 1450 v. Chr. herrschenden König Amenophis III. er-
halten geblieben, welche den Vorgang im wesentlidien in folgender Weise
darstellen:
Der Gott Amon=Rä faßte eines Tages den Beschluß, einen Sohn zu
erzeugen, welcher einst König von Ägypten werden sollte. Er nahm die
Gestalt des im Augenblicke das Land beherrschenden Königs Thutinosis IV.
an, begab sich in den Palast zu Theben und fand die Königin auf ihrem
Lager liegend. Sie erwachte durch den schönen Geruch, welchen der aus
dem Weihrauchlande Punt am Roten Meere kommende Gott verbreitete.
Dieser gab sich ihr als Gott zu erkennen und verkehrte, wie die Inschrift
in sehr drastischer Weise schildert, als Gatte mit der Herrscherin. Dann er-
klärt er, der Name des Sohnes, welcher aus ihrem Leibe hervorgehen werde,
werde Amenophis lauten, seine <des Gottes Ra> Seele sei in ihm, er werde
Äpypten beherrschen. Hierauf verließ der Gott die Königin, begab sich zu
dem widderköpfigen Gotte Chnuphis und forderte diesen auf, den Sohn
zu formen, welchen er, Amon, gezeugt habe. Chnuphis folgte dem Befehl
und bildete auf der Töpferscheibe zwei nackte Knaben, welche dem Götter^
kinde und seinem Ka entsprachen. Eine Göttin reichte diesen Gestalten
nadi ihrer Vollendung das Leben. Die hieran sich anschließenden LIrschrifL
teile berichten, wie die Königin in das Geburtszimmer gebracht wurde und
hier von einer Reihe von Gottheiten unterstützt, niederkam, wobei gleiche
zeitig Amenophis und sein Ka in die Erscheinung traten. Die beiden
1 Siehe »Imago« III. Jahrgang 1914, S. 97 ff.