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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 1
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Gomperz, Heinrich: Psychologische Beobachtungen an griechischen Philosophen
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0053
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Psychologische Beobachtungen an griechischen Philosophen 4 1

ihre Bezeugung auch ist,^ sagt doch insofern gewiß etwas Wahres,
als Sokrates Verhältnisse der zuletzt erwähnten Art offenbar nur
als unschädliche Vergnügungen beurteilt, leidenschaftliche Zuneigung
dagegen sicherlich nur für Knaben empfunden hat/^ Noch glaub-
würdiger scheint es, wenn ihm eine Neigung zum Jähzorn nach-
gesagt wird („vom Zorn erhitzt habe er sich in Wort und Tat
zum Äußersten hinreißen lassen")W Gewiß ist jedenfalls, daß einer
seiner leidenschaftlichsten Bewunderer von ihm erzählte, ein Physio-
gnomiker habe aus seiner Erscheinung geschlossen, es müßten ihm
alle möglichen lasterhaften Neigungen eigen sein; darüber hätten
seine Freunde gelacht, als welche wußten, wie hievon gerade das
Gegenteil gelte; allein Sokrates seihst habe geantwortet: „Du hast
ganz recht gesehen, nur hin ich über all diese Neigungen Herr
geworden."^ In der Tat hat Sokrates in seinen Zeitgenossen den
Eindruck eines zu voller innerer Ruhe und Harmonie gelangten,
durchaus glücklichen und zufriedenen Mannes hinterlassenW
Zu einem Leben wie dem seinen wollte aber nun Sokrates auch
die Jugend erziehen, ja er war überzeugt, auf diesem und nur auf
diesem Wege nicht nur deren eigenes Glück, vielmehr auch das
der Stadt befördern zu können. Zwar wird man nicht sagen dürfen,
daß Sokrates die für ihn bezeichnenden Gespräche ausschließlich
mit jungen Leuten führte: abgesehen davon, daß auch zu seinem

137) Aristoxenos Frg. 28 Müller.
138) Xen. Erinn. I 3, 14; II 1, 3; II 2, 4 (vgl. Antisthenes bei Xen. Gastm. IV 38
und bei Diog. Laert. VI g).
igg) Aristoxenos Frg. 28 Müller. Wenn dieser sich freilich für das Schlechte, das
er Sokrates wie andern großen Männern nachsagte, auf Erzählungen seines Vaters
Spintharos berief, so halte ich das für literarische Fiktion; für die Darstellung des
Verhältnisses zwischen Sokrates und Archelaos hat er offenbar aus schriftlichen
Quellen geschöpft, das aus ihnen Geschöpfte aber mit dem Schmutze seines Übel-
wollens getrübt und nicht anders werden auch seine übrigen Nachrichten zu be-
urteilen sein.
140) Uber die Geschichte vom Physiognomiker Zopyros, die allem Vermuten nach
aus dem gleichnamigen Gespräch des Phaidon stammt, s. Zeller, Ph. d. Griech. II 1*, 64"
und v. Wilamowitz, Hermes XIV 187 f.
141) Xen. Erinn. I 6, 14; IV 8, 11; PI. Phaedo g8e.
 
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