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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 2 u. 3
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Heise, Karl: Der Kuckuck und die Meise: im Volksmunde und dem Volksglauben der Braunschweiger
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0353
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Der Kuckuck und die Meise

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Sämtliche Konkreta und sämtliche Handlungen sind Symbole! Sie deuten
den erstmaligen Geschlechtsakt an.
männlich, onomatopoetisch gebildet, auch GMC%:g*McA: ist der männ-
liche Geschlechtsteil, die Doppelsilbe entspricht den beiden Hoden. Daneben
spielt die Lust am Selbstbesehen, das Interesse am Geheimnisvollen.
AZrsr, weiblich, ist das Wort Afö'sr, ein Volksausdruck für den weiblichen
Teil; daß man ja nicht irre, was gemeint sei, wird sie Pimprimrsr genannt,
pimprm ist ein Ausdruck für den Geschlechtsakt (Z und r vertreten sich als
Labiaten unbedenklich).
Das Laub ist der Haarwald, die Behaarung des mo/M urngrfs, zugleich mit
dem Begriff des versteckten, verborgenen Aufenthaltes.
Ein Stiel ist eine greif hafte, handgerechte Verlängerung von einem Gegen-
stände, hier der Phallus, der erigierte Penis, deshalb als steif bezeichnet, nicht
hart oder fest, also nicht dauernd so, sondern erst zweckdienlich so geworden
aus vorheriger Schlaffheit.
Das Auge ist bekanntes Geschlechtssymbol, hier speziell für das leicht und
irreparabel verletzliche Hymen gesetzt.
Damit sind die Substantive und Attribute erklärt. Der Gang der kleinen
Handlung ist nun der: Die beiden wesensgleichen (Vögel) aber deutlich differen-
zierten männlichen und weiblichen Teile sind einander nahe (sitzen beide
zusammen, wobei weniger an stillsitzen als an spielen zu denken ist), jedes
in seinem Schamhaar, das zusammen laubenartig deckt. Sie spielen Guckguck
mit dem ruckartigen, dadurch bedingten Hin und Her. Hiebei ersteht dem
Manne der steife Stiel, das Glied wird hart und fest wie eine Handhabe,
diese wendet sich aber gegen die Mitspielerin, dringt auf sie ein und verletzt
sie schmerzlich, blutig und folgenschwer, aus Spiel wird Ernst, die Jungfern-
haut ist zerrissen, die Unschuld verloren. Jetzt entsteht die Klage über den
unwiederbringlichen Verlust mit der charakteristischen Beschuldigung des Mit-
schuldigen. Wie beim Sündenfall Adam die Schuld auf das Weib schiebt,
bezichtigt diese Klage den Kuckuck der Gewalt.
Der Volksreim namenlosen Ursprungs ist sicher alt. Wunderbar ist es, wie
diese Dinge ohne eine Ahnung von ihrer Bedeutung, ja in Umkehrung ihrer
Bedeutung ganz allgemein nicht verstanden und trotz alledem treu bewahrt
werden. Das ist an einem kleinen unbedeutenden, anscheinend wenig drama-
tischen DoAecücn. (Scherz) — in dieser Nußschale steckt allerdings die ganze
Welt — ein Beispiel für Goethes Wort: „Was sich nie und nirgends hat
begeben, das allein ist wahre Poesie", und für das andere, in dem er spricht
von „der unbewußten Poesie, bei der aller Verstand und alle Vernunft zu
kurz kommt." Trotzdem wird es nicht schaden, auch hier einmal die Sache
verstandesmäßig anzusehen.
Die Symbole werden nicht gesucht und gemacht vom Dichter, sondern in
demjenigen Teile seines Empfindungssystems, der im Traume am ungestörtesten
aufnimmt, in seinem Seelenorgan aufgenommen und in unbewußter Denkarbeit
seines Denkorgans gestaltet. Solche unbewußte Vorstellungsbildung während
des Schlafes wird in Erinnerung des nachherigen Wachzustandes Traum ge-


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