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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 11.1925

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Heft 4
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Abraham, Karl: Die Geschichte eines Hochstaplers im Lichte psychoanalytischer Erkenntnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.36528#0380

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Dr. Karl Abraham

klärungen für das soziale Verhalten N.s in früherer Zeit und erklärte den
neuerdings erfolgten Umschwung.
Wie erinnerlich, war N. das jüngste unter den vielen Kindern einer
in dürftigen Verhältnissen lebenden Familie. Es muß hinzugefügt werden,
daß ihn ein weiter Altersabstand von seinen Geschwistern trennte, die zur
Zeit seiner Geburt schon halb oder ganz erwachsen waren. Als ganz kleiner
Knabe, aber auch später, hörte er seine Mutter wieder und wieder sagen,
wie unwillkommen er ihr als Spätling gewesen sei. Während die älteren
Geschwister schon seihst etwas verdienen konnten, war N. der unnütze
Esser in der Familie und erfuhr aus lieblosen Bemerkungen, daß er nur
als eine Belastung des Familienbudgets angesehen wurde. Jedenfalls fühlte
er sich von beiden Eltern und sämtlichen Geschwistern ungeliebt, ja be-
feindet, ganz im Gegensatz zu der sonst häufigen Verwöhnung spät- oder
letztgeborener Kinder. Sein späteres soziales Verhalten stellt in letzter
Linie seine psychische Reaktion auf diese Eindrücke seiner früheren Kind-
heit dar.
Es braucht hier nur an die gesicherte psychoanalytische Erfahrung er-
innert zu werden, nach welcher ein Kind an den Personen seiner frühesten
Umgebung die ersten Liebeserfahrungen sammelt und selbst lieben lernt.
Unter Umständen wie den soeben geschilderten kann eine vollwertige
Objektliebe sich nicht entwickeln. Die ersten Versuche des Kindes, die ihm
nächsten menschlichen Objekte mit seiner Libido zu besetzen, werden not-
wendig scheitern, und eine rückläufige, narzißtische Besetzung des Ich wird
nicht ausbleiben, während sich den Objekten zu gleicher Zeit eine große
Haßbereitschaft zuwenden wird.
Unter diesen Gesichtspunkten wird N.s Verhalten in der Kindergarten-
und Schulperiode verständlich. Er verschmäht seine Eltern, so wie sie ihn
verschmäht haben. Er wünscht sich reiche Eltern, die ihn nicht als
ökonomisch belastenden Faktor ansehen würden. Er zeigt sich schon früh
jedem Menschen, der ihm Vater, Mutter, Bruder oder Schwester bedeuten
kann, von der gewinnendsten Seite; jeder Lehrer, jeder Mitschüler muß
ihn gern haben — eine ständig fließende Quelle der Befriedigung für
seinen Narzißmus. Aber die Identifizierung der ihn jeweils umgebenden
Personen mit seinen Eltern und Geschwistern geht weiter: er muß die,
welche ihn lieb gewonnen haben, enttäuschen, um Rache an ihnen zu
nehmen. Daß alle, aber ausnahmslos alle, sich von ihm düpieren lassen,
gibt seinem Narzißmus weitere intensive Befriedigung. Unter Anlehnung
an eine geläufige Wortbildung verschiedener Sprachen möchte man sagen:
 
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