INDISCHE ORNAMENTE.
In den Werken der verschiedenen, in der Ausstellung repräsentirten europäischen Nationen suchte man
vergebens irgend ein allgemeines Principium in der Anwendung der Kunst auf die Gewerbserzeugnisse :
von einem Ende des ausgedehnten Gebäudes bis zum andern fand man nichts als ein fruchtloses Streben
etwas Neues hervorzubringen, ohne alle Eücksicht auf die erforderliche Angemessenheit. Der Entwurf der
Zeichnungen beruhete auf einem System der Nachahmung und der verkehrten Anwendung der Schönheits-
formen aller möglichen veralteten Kunststylarten vergangener Zeitperioden, und nirgends äusserte sich
das geringste Bestreben eine Kunst zu schaffen, die mit unsern gegenwärtigen Bedürfnissen und Mitteln
im Einklänge sei; der Steinhauer, der Metallarbeiter, der Weber und der Maler scheinen sich darin gefallen
zu haben, gegenseitig von einander zu borgen, um die den verschiedenen Fächern angehörigen entlehnten
Formen verkehrt anzuwenden. Im Gegensatz zu dieser Verwirrung fand man in den Sammlungen an den
vier Ecken des Kreuzganges, alle die Principien, all den Einklang und die wahre Auffassung die man sonst
überall vermisste: denn diese Sammlungen gehörten Völkern an, deren Kunst mit ihrer Civilisation auf-
gewachsen ist, und, im Verhältniss mit dem Wachsthum derselben, zugenommen hat. Das Band einer und
derselben Religion, welches diese Nationen vereint, hat ihrer Kunst auch das Gepräge eines allgemeinen
verwandten Eindrucks verliehen, obgleich dieser Eindruck sich auf verschiedene Weise kund thut, in Folge
des verschiedenen Einflusses der sich bei jeder einzelnen Nation insbesondere geltend machte. So hält sich
der Tuniser noch an die Kunst der Mauren, die den Alhambra schufen; die Türken offenbaren dieselbe
Kunst, mit den Modificationen, die durch den verschiedenartigen Charakter der gemischten Völkerschaften
die ihre Herrschaft erkennen, nothwendig veranlasst werden mussten; die Indier vereinen die strengen
Formen der arabischen Kunst mit der verfeinerten Anmuth der Perser.
Alle die Pegeln über die Vertheilung der Form die sich, wie schon bemerkt, in den arabischen und
maurischen Ornamenten kund thun, finden sich auch in den indischen Erzeugnissen. In allen Werken der
Indier, von den prächtigsten Stickereien und den. künstlich ausgearbeiteten Erzeugnissen des Webstuhls ab-
wärts bis zum geringfügigsten Spielzeug oder irdenem Gefäss, offenbaren sich, in der Construction wie in
der Verzierung, dieselben Grundprincipien—überall zeigt sich dieselbe Sorgfalt im Entwurf der allgemeinen
Form, man findet weder Auswürfe noch überflüssige Verzierungen, man sieht nichts das zwecklos ist, oder
entfernt werden könnte ohne Nachtheil für die Compostion. Dieselbe Abtheilung und Unterabtheilung der
Form, welche den maurischen Ornamenten solchen Eeiz verleihet, ist auch hier bemerkbar; denn der Unter-
schied, welchen die Verschiedenheit des Styls veranlasst, liegt nicht im Principium, sondern in der Ver-
schiedenheit des individuellen Ausdrucks. Im indischen Style sind die Ornamente freier, fliessender, und
minder conventionell, und verrathen deutlicher den unmittelbaren persischen Einfluss.
Die Ornamente der Tafel XLIX. sind meistens den sogenannten indischen Hukhas entnommen, die in
grosser Menge und Varietät in der Ausstellung von 1851 zu sehen waren, und die sich insgesammt durch
höchste elegante Contouren auszeichneten, wie auch durch die sinnreiche Behandlung der Verzierung der
Oberflächen, indem jedes Ornament dazu beitrug, die allgemeine Form vollständiger zu entwickeln.
Diese Ornamente sind, wie man ersehen kann, von zweierlei Art — die einen sind streng architektonisch
und conventionell, und bloss im Abriss dargestellt, wie No. 1, 4, 5, 6, 8 ; die andern verrathen schon mehr
das Streben der directen Nachahmung der Natur, wie No. 13, 14, 15. Diese letztern bieten uns eine höchst
schätzbare Belehrung dar, indem sie beweisen, wie unnütz es sei, in der Verzierung mehr zu thun als die
allgemeine Idee einer Blume anzugeben. Die sinnreiche Behandlung der in No. 25 gegebenen Blume in
voller Blüthe, die Darstellung derselben Blume in drei verschiedenen Stellungen, No. 14 und 15, und das
rückwärts umgeschlagene Blatt, No. 20, sind merkwürdig und voll Bedeutung. Die Absicht des Künstlers
ist auf eine ebenso einfache als zierliche Weise deutlich ausgedrückt. Die Einheit der Oberfläche des
verzierten Gegenstandes wird nicht beeinträchtigt, wie sie es bei der europäischen Behandlung der Blumen-
verzierung unfehlbar sein würde, wo man sich darauf verlegt, die Blumen mit Schattirungen und Schatten zu
versehen, und sie, wo möglich, der natürlichen Blume so ähnlich zu machen, dass man sich versucht fühlt
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In den Werken der verschiedenen, in der Ausstellung repräsentirten europäischen Nationen suchte man
vergebens irgend ein allgemeines Principium in der Anwendung der Kunst auf die Gewerbserzeugnisse :
von einem Ende des ausgedehnten Gebäudes bis zum andern fand man nichts als ein fruchtloses Streben
etwas Neues hervorzubringen, ohne alle Eücksicht auf die erforderliche Angemessenheit. Der Entwurf der
Zeichnungen beruhete auf einem System der Nachahmung und der verkehrten Anwendung der Schönheits-
formen aller möglichen veralteten Kunststylarten vergangener Zeitperioden, und nirgends äusserte sich
das geringste Bestreben eine Kunst zu schaffen, die mit unsern gegenwärtigen Bedürfnissen und Mitteln
im Einklänge sei; der Steinhauer, der Metallarbeiter, der Weber und der Maler scheinen sich darin gefallen
zu haben, gegenseitig von einander zu borgen, um die den verschiedenen Fächern angehörigen entlehnten
Formen verkehrt anzuwenden. Im Gegensatz zu dieser Verwirrung fand man in den Sammlungen an den
vier Ecken des Kreuzganges, alle die Principien, all den Einklang und die wahre Auffassung die man sonst
überall vermisste: denn diese Sammlungen gehörten Völkern an, deren Kunst mit ihrer Civilisation auf-
gewachsen ist, und, im Verhältniss mit dem Wachsthum derselben, zugenommen hat. Das Band einer und
derselben Religion, welches diese Nationen vereint, hat ihrer Kunst auch das Gepräge eines allgemeinen
verwandten Eindrucks verliehen, obgleich dieser Eindruck sich auf verschiedene Weise kund thut, in Folge
des verschiedenen Einflusses der sich bei jeder einzelnen Nation insbesondere geltend machte. So hält sich
der Tuniser noch an die Kunst der Mauren, die den Alhambra schufen; die Türken offenbaren dieselbe
Kunst, mit den Modificationen, die durch den verschiedenartigen Charakter der gemischten Völkerschaften
die ihre Herrschaft erkennen, nothwendig veranlasst werden mussten; die Indier vereinen die strengen
Formen der arabischen Kunst mit der verfeinerten Anmuth der Perser.
Alle die Pegeln über die Vertheilung der Form die sich, wie schon bemerkt, in den arabischen und
maurischen Ornamenten kund thun, finden sich auch in den indischen Erzeugnissen. In allen Werken der
Indier, von den prächtigsten Stickereien und den. künstlich ausgearbeiteten Erzeugnissen des Webstuhls ab-
wärts bis zum geringfügigsten Spielzeug oder irdenem Gefäss, offenbaren sich, in der Construction wie in
der Verzierung, dieselben Grundprincipien—überall zeigt sich dieselbe Sorgfalt im Entwurf der allgemeinen
Form, man findet weder Auswürfe noch überflüssige Verzierungen, man sieht nichts das zwecklos ist, oder
entfernt werden könnte ohne Nachtheil für die Compostion. Dieselbe Abtheilung und Unterabtheilung der
Form, welche den maurischen Ornamenten solchen Eeiz verleihet, ist auch hier bemerkbar; denn der Unter-
schied, welchen die Verschiedenheit des Styls veranlasst, liegt nicht im Principium, sondern in der Ver-
schiedenheit des individuellen Ausdrucks. Im indischen Style sind die Ornamente freier, fliessender, und
minder conventionell, und verrathen deutlicher den unmittelbaren persischen Einfluss.
Die Ornamente der Tafel XLIX. sind meistens den sogenannten indischen Hukhas entnommen, die in
grosser Menge und Varietät in der Ausstellung von 1851 zu sehen waren, und die sich insgesammt durch
höchste elegante Contouren auszeichneten, wie auch durch die sinnreiche Behandlung der Verzierung der
Oberflächen, indem jedes Ornament dazu beitrug, die allgemeine Form vollständiger zu entwickeln.
Diese Ornamente sind, wie man ersehen kann, von zweierlei Art — die einen sind streng architektonisch
und conventionell, und bloss im Abriss dargestellt, wie No. 1, 4, 5, 6, 8 ; die andern verrathen schon mehr
das Streben der directen Nachahmung der Natur, wie No. 13, 14, 15. Diese letztern bieten uns eine höchst
schätzbare Belehrung dar, indem sie beweisen, wie unnütz es sei, in der Verzierung mehr zu thun als die
allgemeine Idee einer Blume anzugeben. Die sinnreiche Behandlung der in No. 25 gegebenen Blume in
voller Blüthe, die Darstellung derselben Blume in drei verschiedenen Stellungen, No. 14 und 15, und das
rückwärts umgeschlagene Blatt, No. 20, sind merkwürdig und voll Bedeutung. Die Absicht des Künstlers
ist auf eine ebenso einfache als zierliche Weise deutlich ausgedrückt. Die Einheit der Oberfläche des
verzierten Gegenstandes wird nicht beeinträchtigt, wie sie es bei der europäischen Behandlung der Blumen-
verzierung unfehlbar sein würde, wo man sich darauf verlegt, die Blumen mit Schattirungen und Schatten zu
versehen, und sie, wo möglich, der natürlichen Blume so ähnlich zu machen, dass man sich versucht fühlt
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