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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0014
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Einleitung,

1. Die Lage der Burg im Verkehrsnetz.
In den 23 km langen meridionalen Einbruchsgraben des
mittleren Lahntals schiebt sich von Westen, dem Marburger
Rücken, ein bis 100 m hoher, steiler, bei Hochwasser einem
Vorgebirge ähnelnder Felsriegel vor. Bis in das 13. Jahr-
hundert hinein, ehe die Talstraßen für die auf dem Süd-
abhang des Felsriegels gegründete Stadt Marburg angelegt
wurden, war ein durchgehender Verkehr durch das sumpfige,
oft überschwemmte Becken ausgeschlossen; er war auf die
beiderseitigen Höhenwege angewiesen: im Westen auf die be-
deutende Überlandstraße, in diesem Abschnitt die Wein-
(Wagen)straße genannt und im Westen den Balderscheider
Weg (G. Wolff, F. Küch), einen Straßenzug, der an den
Hängen der bereits von den Bandkeramikern und den Urnen-
feldleuten reich besiedelten Ebsdorf-Kirchhainer Senke ent-
lang führte und von der Amöneburg beherrscht wurde.
Der bis beinahe an den östlichen Talrand vorgeschobene
Felsriegel ermöglichte die Verbindung der beiden Höhenwege
und damit den Übergang der wichtigen West-Oststraße, die
von Brügge über Köln und Herborn nach Erfurt führte
(G. Wrede). Eine nördliche Furt, an der Stelle der Bahnhofs-
brücke, vermittelte durch das Marbacher Tal, die südliche,
in der Gegend der Schützenpfuhlbrücke, über Ockershausen
hin den Aufstieg zur Weinstraße. Die mittlere Furt fing den
alten Kirchhainer Weg auf und wurde, als die wichtigste, bei
der Stadtgründung durch die Weidenhäuser steinerne Brücke
überwölbt. Von hier verlief der Weg entlang dem Süd-
abhang des Felsriegels in einer Bahn, die durch Untergasse,
Lutherstraße und Sandweg bezeichnet wird, auf den Mar-
burger Rücken.
Die östliche höchste Erhebung des Felsriegels war demnach
wie erschaffen für eine wegebeherrschende Feste: Die Furten
lagen unter ihrem Antlitz und die 2,5 km entfernte Wein-
straße konnte von Berittenen leicht und rasch erreicht werden.
2. Die geologische Formation.
Der Reiz der Marburger Landschaft beruht auf der
mosaikartigen Zerstückelung der Buntsandsteinplatte in zahl-
reiche Blöcke, die im Laufe einiger Millionen Jahre durch
Wasser, Schnee und Eis zu Kuppen nahezu eruptiven Aus-
sehens mit dazwischenliegenden Sätteln und Tälern ab-
gehobelt worden sind. Auch unser Felsriegel ist durch mehrere
Hauptverwerfungen gegliedert. Im Westen ragt der stattliche
Dammeisberg empor. Es folgt der Hainblock, der jetzt vom
Stadtpark eingenommen wird. Die Spitze des Riegels wird
gebildet von dem steil abfallenden Schloßberg. Er hatte ur-
sprünglich genau wie seine ungekrönten Trabanten eine
rundliche Gestalt mit dem etwas zugespitzten Gipfel. Ein
Wanderer, vom Dammeisberg über den Hainblock kommend,
erblickte vor sich eine 20 m hohe Kuppe. Der jetzt zu über-
schreitende schmale Grat ist ein Kunstprodukt, durch die Aus-
hebung des Halsgrabens allmählich entstanden. Für die erste
Anlage einer Befestigung war die hier verlaufende Ver-

werfung, die den Hainblock von dem Schloßberg abschneidet,
besonders wichtig. Der Hauptriß liegt da, wo die 1928 von
der Stadt Marburg erbaute Treppe zu Bückings Garten die
Brüstung des breiten Wegs durchschneidet. Die 30 m breite
Störung in diesem Gebiet, die in den Zerklüftungen, den
Spalten und Zermürbungen in dem Felsen (Tafel 1, 1) zutage
tritt, hat in günstigster Weise der Anlage eines Halsgrabens
vorgearbeitet. Die von W. Kürschner ausgesprochene Ver-
mutung, daß in chattischen Zeiten eine Fluchtburg vorhanden
gewesen sei, ist nicht von der Hand zu weisen. Der Gestalt
nach würde sie zu den Zungenburgen (C. Schuchhardt) ge-
hören.
Nachdem im 9. Jahrhundert der Steinbau nach Deutsch-
land verpflanzt worden war, erwies sich die geologische For-
mation für die Errichtung einer festen Burg und weiterhin
für die Anlage einer Stadt als besonders geeignet. Denn unser
mittlerer Buntsandstein bietet in seiner oberen 150—200 m
starken Konglomeratzone das harte, bisweilen zu völliger Ho-
mogenität verkieselte helle Gestein für die Monumental-
bauten dar, in der unteren Zone überwiegt das tonhaltige
dem Meißelschlag leicht folgende Material, das für die Profan-
bauten genügt und sich hervorragend für Plastiken eignet. Der
Stein kann in der Tat so weich sein, daß er sich beinahe wie
Lindenholz bearbeiten läßt, ein Vorkommen, das gewiß nicht
wenig zu der Blüte der Marburger Bildhauerkunst beigetragen
hat. Es wurden öfters auserwählte Blöcke nach auswärts ge-
liefert, wie z. B. 1510 für den Altar in Butzbach. Allerdings
verwittern diese Kunstwerke, wenn sie im Freien stehen, wie
man häufig an den Grabsteinen der dörflichen Friedhöfe sieht.
Der Bausandstein ist nun auch da, wo er in mächtigen
Bänken auftritt, von senkrechten Klüften, sog. Schlechten und
von horizontalen lockeren und tonigen Schichten durchsetzt.
In die Spalten trieb man über offenem Feuer gedörrtes Holz,
das, mit Wasser begossen, durch seine Quellung die Blöcke
lockerte und herauslöste. Dieses, von den „Bergknechten“ ge-
übte Verfahren wird noch heute zur Beschaffung von Quadern
in den Granitbrüchen des Spessarts angewendet. Es gestattete
die plastischen Eingriffe für die Herstellung der Verkehrs-
adern und lieferte zugleich das Material für die Unterbauten
der Bürgerhäuser und für den Stadtbering. Trug man den
Felsabhang breit ab und füllte den Abraum bis an eine Vor-
gesetzte Böschungsmauer auf, wie das schon Fr. C. Creuzer
im Jahre 1827 geschildert hat, so entstanden die Plätze, auf
deren größtem über der Altstadt die Pfarrkirche steht. Hier
handelt es sich um die Abtragung von etwa 1900 cbm Ge-
stein. Erst wenn das Gestein an Ort und Stelle erschöpft war,
so mußte man es aus Steinbrüchen mühselig herbeischaffen.
Diese „Kauten“ wurden sorgfältig gepflegt und je nach der
Beschaffenheit des anstehenden Materials beansprucht. In
wichtigen Fällen suchten Sachverständige die geeigneten Ab-
baustätten aus. Weiter entlegene wertvolle Kauten, wie der
Hainstein bei Cölbe, vermutlich der große verlassene Steinbruch
östlich von der Rickshelle, erhielten Zaun und verschließbare
Pforte.

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