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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0137
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10. Kapitel.

Die Wiederherstellungsarbeiten der Jahre 1924 bis 1932.

Seit der Einrichtung des Schlosses zum Staatsarchiv war
nichts Wesentliches für die bauliche Unterhaltung geschehen.
Es hatten sich in den Jahrzehnten tiefgreifende Witterungs-
schäden an allen Bauteilen entwickelt. Nach dem Ende der
Inflation, im Juli 1924 übernahm das Hochbauamt unter der
tatkräftigen Leitung des Reg.- und Baurates Lütcke die große,
verantwortungsvolle und dornenreiche Aufgabe der durchgrei-
fenden Instandsetzung.
Im November 1924 begann man mit dem Hexenturm.
Die baugeschichtlich bemerkenswerteste Störung gründete sich
auf die zahlreichen besteigbaren Schornsteine der in den Ge-
fängniszellen 1746 aufgestellten eisernen Öfen. Die Schorn-
steine waren nach der Spitze des Turmdaches auf einen höl-
zernen Stützbock gezogen (T. 215); sie ruhten teilweise ohne
Fundament auf den Balkendecken, die infolgedessen allmäh-
lich nachgegeben hatten und einzubrechen drohten. Nach der
Beseitigung der alten Einrichtung wurden zwei neue Schorn-
steine aus Ziegelsteinen mit russischen Röhren auf das starke
Kuppelgewölbe gesetzt und aus dem alten Kamin heraus-
geleitet, sodaß die äußere Erscheinung bewahrt blieb. Die
Kosten beliefen sich auf den bescheidenen Betrag von 5650 Mk.
Die 1925 einsetzenden Erneuerungsarbeiten bezweckten
zunächst im wesentlichen die Sicherung der Gemäuer, vor
allem der Mauerkronen, die durchgreifende Erneuerung der
Dachdeckung einschließlich der vermorschten Aufbauten und
die Bekämpfung des gefährlichen Rostes an den eisernen
Dachstühlen. Bei dem Ausmaße dieser der Bauunterhaltung
dienenden Arbeiten bot sich die Gelegenheit, alle häßlichen,
den Kern beeinträchtigenden Zutaten neugotischen Ge-
schmacks aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts zu beseiti-
gen, Gesichtspunkte, die der Konservator Fr. Bleibaum und
Lütcke übersichtlich dargestellt haben.
Als Grundlage für die Bewilligung der Kosten forderte
der zuständige Ministerpräsident eine Untersuchung über den
Neubauwert, den Vorkriegswert des Schlosses. Nach dem Be-
richt vom 8. 7. 1925 setzte sich der umbaute Raum in cbm
folgendermaßen zusammen: 1. Südlicher Schloßteil mit Trep-
penbau 5200, Kirchenbau 2900, Westflügel 4630, Saalbau
17 410, neuer Treppenturm 180, Leutehaus 4100, Torbau 340,
Galerie zum Stockhaus 420, Stockhaus 13780; Sa. 48 960 cbm,
zu je 26 Mk. = 1 300 000 Mk. 2. Rentkammer 540, Haus des
Archivdirektors 2580, Marstall 4180, Zeughaus 2410, Hexen-
turm 3140; Sa. 12 870 cbm, zu je 18 Mk. = 230 000 Mk.
3. Die übrigen Gebäude, Judicierhaus, Wasserturm, Brun-
nenbehälter, Türmchen an dem Nordabhang, Kasematten
42 000 Mk., Schloßstraße 150000 Mk., Schloßtreppe 40000Mk.,
gepflasterter Schloßbergweg, gepflasterte Vorburg und Wege
20 000 Mk. Alles zusammen 1 782 000 Mk. Die jährlichen
Unterhaltungskosten von 1 % berechneten sich auf 17 000 Mk.
Dieser Betrag erwies sich angesichts der langen Vernach-

lässigung der Gebäude als viel zu niedrig, wie auch aus den
Kostenanschlägen hervorgeht, die nunmehr am Anfang jeden
Jahres das Hochbauamt nach gemeinsamer Besichtigung mit
der Archivverwaltung aufstellte. Die tatsächlichen Ausgaben
betrugen in den Etatsjahren 1924 2000 Mk., 1925 12 079 Mk.,
1926 9863 Mk., 1927 33760 Mk., 1928 51900 Mk., 1929
60 900 Mk., 1930 50 000 Mk., 1931 13 777 Mk., Sa. 232 279
Mark. Diese Summe stellte der preußische Finanzminister
als Bewilligungen auf die Kostenanschläge und als nachträg-
liche Zuschüsse für die Überschreitungen zur Verfügung. Da-
neben bezahlte der Kultusminister für die innere Wiederher-
stellung des Rittersaals und der Kapelle je 29 002 Mk. und
33 760 Mk. Angesichts des Gesamtbetrages von 300 000 Mk.
darf man wohl von einer großartigen Munifizenz des preußi-
schen Staates sprechen.
Die Ausbesserung der Gemäuer begann im Burghof
gelegentlich der Beseitigung des Regenbogenschen Treppen-
turms. Im April und Mai 1927 wurde von der Fa. A. Becht
u. Sohn eine Mauerfläche von 1300 qm vom alten Verputz
durch Abklopfen befreit, das Bruchsteinwerk gesäubert und
mit Salzsäure abgewaschen, die Fugen wurden ausgekratzt
und mit Kalkputz ausgelegt. Dasselbe Verfahren wurde
schrittweise auf die Außenfronten des Burgkerns, des Wil-
helmsbaues und schließlich der Wohngebäude übertragen. Bei
diesen Arbeiten konnte man geschichtlich wichtige Einzelhei-
ten, alte Gewändestücke, Fugen zwischen älteren und neueren
Mauerteilen erhalten oder wieder freilegen. Nur ein Desidera-
tum ist vorzubringen: An der besonders stark beschädigten
und von tiefen Rissen durchsetzten Südfront ist die Zinnen-
lücke rechts vom Abortturm vermörtelt worden.
Zu der Sicherung der Mauerkronen gehörte die Beseiti-
gung der „Zuckerhüte“ auf den Ecktürmen des Saal-
b a u e s. Um die neue Bedachung erhob sich zwischen der
Archivverwaltung und dem Hochbauamt eine Mißhelligkeit:
F. Küch wünschte, in die mittelalterliche Bauzeit zurückgrei-
fend, den ursprünglichen Zinnenkranz, Lütcke auf Grund der
letzten großen Bauperiode die welschen Hauben des 18. Jahr-
hunderts wieder herzustellen. Der Niederschlag dieser und
mancher anderer, aus der verschiedenen Einstellung, der histo-
rischen der Archivverwaltung und der vornehmlich technischen
der Bauleitung resultierenden Unstimmigkeiten ist ein Brief
F. Küchs vom 6. 12. 1927 an das Bauamt, worin er die Ge-
staltung der Ecktürmchen bedauert und betont, daß ihm die
Entwürfe nicht vorgelegt worden seien.
Das auf der Südseite des Westflügels von den Neu-
gotikern aufgesetzte Geschoß erhielt samt den beiden Erkern
etwas niedrigere viereckige Fenster und eine Beschieferung,
wodurch die damals als Reminiscenz an den Wohnturm beab-
sichtigte, weithin sichtbare Überhöhung einigermaßen ver-
waschen wurde. Im Benutzersaal, dem zweiten Obergeschoß

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