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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0016
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1. Kapitel.
Die erste Bauperiode: Die gisonische Turmburg. (Modell I).
1. Lage der Burg ,/ 2. Halsgraben / 3. Burgwege / 4. Wasserversorgung.

I. Lage der Burg.
Wahrscheinlich sind es die seit 1008 (Lotzenius) in der
hessischen Geschichte auftretenden gisonischen Grafen des
Oberlahnkreises, die auf dem Schloßberg eine Turmburg als
Feste und als Sitz eines Verwaltungsbeamten erbaut haben,
der die Ablieferung des Zehnten zu überwachen hatte. Sie
erhielt ihren Namen wie viele Burgen nicht nach dem Haupt-
fluß, sondern nach dem am Nordfuß des Bergs der Lahn zu-
eilenden Nebenflüßchen, der Marbach. Die Wurzel mar oder
marc hat Küch auf die Grenze des wetterischen Zent Michel-
bach-Caldern und des Amöneburger Gerichtes Reizberg (Ober-
weimar) bezogen. Tatsächlich tritt anfänglich neben dem
Namen Marburg die Marcburg auf; es wäre demnach eine
Grenzburg, wobei allerdings auffällt, daß es auf Grund die-
ser Ableitung nicht überall Marburgen gibt. Vielleicht geht
jedoch der Name Marbach in weit frühere Zeiten zurück, ehe
hier von einer Grenze zwischen verschiedenen Ämtern die
Rede sein kann. C. Knetsch weist auf die zum Teil der älte-
sten Siedlungszeit angehörigen Ortsnamen Mardorf, Marborn,
Roßbach, Roßberg, Rosphe und Pferdsbach hin. W. Bücking
vertritt die Erklärung: Die Burg über dem Pferde- (Mar,
Marc)bach, womit er die Ansicht des Sprachforschers Ferdi-
nand Justi wiedergibt.
Von der Deutung als Grenzburg ausgehend und nach einem
aus der häufigen Anordnung frümittelalterlicher Burgen auf
Nebenhöhen abgeleiteten Gesetz ist neuerdings die Anschau-
ung wachgeworden, daß die Gisonenburg nicht auf der höch-
sten Erhebung, dem Schloßberg, sondern auf einem Neben-
gipfel jenseits der Ketzerbach, auf der Minne, der jetzigen
Augustenruhe zu suchen sei. 1) F. Küch hat wohl mit Recht
die Lützelburghypothese bis zuletzt abgelehnt. Mit ihm
nehmen wir an, daß der Erbauer der ältesten Burg den
Schloßberg als den günstigsten Platz erkoren hat. Wiewohl
keinerlei Grabungen als Beweis angeführt werden können,
dürfen wir vermuten, daß die Burg auf dem Gipfel errichtet
wurde, auf dem jetzt der mächtige Westflügel thront (T 10,
mittleres Bild). Nach der Ansicht Albredht Meydenbauers, der
als Beweis einer frühromanischen Burg den im Burghof ein-
gemauerten Zierstein anführt (Tafel 12, 3) gehörte auf diese
höchste Stelle von Anfang an die Hauptbefestigung. „Die
Sohle des Westflügels, der nach Westen durch eine mächtige,
verschiedene Entstehungszeiten andeutende Futtermauer mit
vorgelegten Terrassen den Verteidigungsabschnitt bildet, ruht
noch heute, hart über der Sohle des dahinterliegenden Hofes,
auf gewachsenem Fels.“ Diesen durch die späteren plastischen
Eingriffe herausmodellierten Felsen nennen wir der Über-
sichtlichkeit halber den Gisonenfels.
Der erste Autor, der sich über die Lage der Burg ge-
äußert hat, ist ein Professor der Mathematik, wahrscheinlich
Johann Georg Brand zu Marburg (geb. 1645, gest. 1703). In
J. Lucans „Relation“ von 1711 heißt es: „Ist auf dieser bürg

und fürstlichen haus zu considerieren das uralte steinere gebäu,
so in frontespicio montis erbauet worden, worzue befindlichen
anzeigen nach oben über das gebürge (den Hain) die einfahrt
gangen, da es dann gegen das gebürg mit einer starken pforten,
turn und hohen starken mauer verwaret worden, quo tempore
et anno aber, davon findet sich keine nachricht. Dieses habe
ich hirbei nachrichtlich mit anführen sollen, das ich anno 1700
in collegio geographico von damaligem alten professore
matheseos proponieren gehört, wie dieses vor uralten Zeiten
die erste bürg dieser gegend auf diesem felsen erbauet und
die bürg ufm Schwarzenstein geheißen,, wie derglei-
chen eine stund von hier oberhalb dem dorf Wehrde ufm
hohen felsen an der lähn der Weißenstein genannt, gestan-
den, davon sich rudera finden und zue Zeiten Hinrici von
dessen frau mutter Sophia demolieret worden.“
Auf unserem Modell I haben wir eine fränkische Burg
aufgestellt, einen Wohnturm mit überdachter Zinnenbrüstung
und einen ummauerten Hof, in dem eine Stallung als Neben-
gebäude untergebracht ist. Nach dem Gesetz von der Be-
harrlichkeit der Wegeführung verlegen wir die Burggasse
schon in dieser frühen Zeit an den Nordabhang, wo sie von
einer Unterburg aus durch herabgeworfene Steinblöcke ge-
sperrt werden konnte: zugleich befolgen wir die Regel, wo-
nach der Eindringling seine rechte vom Schild ungedeckte
Seite den Geschossen der Verteidiger auszusetzen gezwungen
war. Der Ausschnitt aus dem Abhang lieferte nach der Aus-
messung am Modell 2600 cbm Gestein, eine ausreichende
Menge für die Turmburg, die bei einer Wandstärke von 1 m
samt den Mauern etwa 1400 cbm beansprucht haben würde.
Es handelte sich hierum die in den Kellern des Saalbaues und in
der Küche anstehenden festen rötlichen Bänke. Von dieser
Stelle aus erklomm der Burgweg in einer Schleife den Gipfel;
der gefahrvolle Anstieg schloß eine Überrumpelung bei Nacht
und Nebel aus.
2. Der Halsgraben.
Es mag verwundern, daß der Halsgraben mit seinem Palisa-
denwall in größerer Entfernung von der Burg angebracht ist.
Nach den Untersuchungen Pipers erscheint ein besonderes
Vorwerk bei der äußeren Burgpforte nicht notwendig; es
wäre von der kleinen Besatzung doch nicht zu halten gewe-
sen. Man begnügte sich damit, daß der Graben zunächst den
Angriff verzögerte, die Heranschaffung von Belagerungs-
maschinen erschwerte. Bis er zu diesem Zwecke ausgefüllt
war, hatte die Besatzung Zeit zu vorbeugender Abwehr, Ver-
stärkung der Mannschaft und Abschiebung entbehrlicher In-
sassen.
3. Die Wege auf den Berggipfel.
Vermutlich gab es von alters her drei Fußpfade auf den
Berggipfel, 1. einen südlichen, der die Steigung möglichst

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