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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0018
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2. Kapitel.
Die zweite Bauperiode: Die thüringische Burg. (Modell II und III).
Geschichtliches, Marburg als Marktflecken, seine Erhebung zur Stadt / Die Burg / Der Palas / Der Südzwinger /
Der Berchfrit auf dem Gisonenfelsen, die südliche Zwingermauer, die westliche Vorburg, der Eingang in den Nord-
zwinger / Die Ratzfalle / Die östliche Vorburg, die innere Burgpforte / Der Burghof / Der Einschluß der Burg
in den Stadtring / Die Außenburg, der Hain.

Geschichtliches.
Nach dem gewaltsamen Tode des letzten Grafen Giso von
Gudensberg, Vogtes von Hersfeld im Jahre 1122 brachte des-
sen Tochter Hedwig als alleinige Erbin dem Grafen Lud-
wig III., seit 1130 Landgraf von Thüringen, den Oberlahn-
kreis und die Besitzungen am Rhein als Hochzeitsgabe dar.
In diesem Jahre kommen im Zusammenhang mit den Erb-
schaftsvorgängen zum ersten Male Personennamen mit der
Herkunftsbezeichnung „von Marburg“ vor (F. Küch). Marburg
blieb von nun an fast IV2 Jahrhunderte lang bei Thüringen.
Es ist wahrscheinlich, daß der mächtige Landgraf zur Siche-
rung des angefallenen, weit nach Osten vorgeschobenen Ge-
bietes alsbald den strategisch wichtigen Berggipfel befestigen
ließ, daß er als Schlüsselstellung gegen die erzbischöflich main-
zische Amöneburg eine ansehnliche, uneinnehmbare Burg er-
baute. Hopf macht darauf aufmerksam, daß die Bedeutung
dieser Burg bezüglich der Kontrolle des Wegenetzes erst
durch den Frauenberg (1248), der die Straße durch das Ebs-
dorf — Kirchhainer Becken flankierte, wirksam ergänzt und ge-
sichert wurde. Weitere militärische Stützpunkte entstanden
im Süden in Grünberg (1186), im Norden Biedenkopf (vor
1196), dann Alsfeld (vor 1231) und Frankenberg (vor 1243,
Görich).
Der Landesfürst wünschte auf seinen Fahrten die Gele-
genheit einer Hofhaltung vorzufinden. Wenn nach der Ver-
mutung Bückings die beiden Landgrafen Heinrich Raspe
(gest. 1155 und 1180) in der von ihnen am Südabhang des
Schloßbergs erbauten Hofstatt wohnten, so reichte diese be-
scheidene Unterkunft für den Fürsten selbst wohl nicht aus.
Der auf der Burg errichtete Palas erhielt allerdings beschei-
dene Ausmaße. W. Kürschner erwähnt, daß Landgraf Lud-
wig IV. im Jahre 1222 durch die Kleinheit der Burg (d. h.
des Wohnhauses) gezwungen war, eine Gerichtssitzung in der
Pfarrkirche zu halten.
Mit der Einrichtung einer fürstlichen Residenz begann die
Siedlung neben der Hofstatt wirtschaftlich aufzublühen. Sie
wurde Marktflecken für die vielen Dörfer diesseits und be-
sonders jenseits der Lahn im Ebsdorf-Kirchhainer Becken.
Zwar sind die Datierungen Buchenaus, wonach der Graf von
Gudensberg (gest. 1122) und Heinrich Raspe (gest. 1155) in
Marburg Denare hätten prägen lassen (Abb. bei Riechmann,
Auktionskatalog 1924 Nr. 1910/11) nicht allgemein anerkannt
worden; jedoch ist von dem Jahr 1194 eine landgräfliche Münz-
stätte in Marburg gesichert, deren Brakteaten in Wettbewerb
mit den Münzen des Kölner Erzbistums traten. Die Münz-
und die damit verknüpfte Zollstätte zwingt zwar nicht zu der
Annahme, daß Marburg damals schon Stadt war; jedenfalls
aber bereiteten diese Einrichtungen den Boden für die Grün-
dung der Hauptstadt Oberhessens vor (F. Küch). Dies in den
Anfang des 13. Jahrhunderts anzusetzende Ereignis bedeutete
eine Massierung von Einwohnern, die Notwendigkeit ihres

leiblichen und rechtlichen Schutzes und die Einführung des
zum Waffendienst verpflichtenden Bürgerrechtes; es trug
wesentlich zur Sicherung auch der landesherrlichen Stellung
bei. Burg und Stadt mit ihrem Bering fügten sich zu einer
gefestigten Einheit, zu einem mittelalterlichen Schloß zu-
sammen.
Die Burg.
Im Gegensatz zu den bisherigen Angaben sind wir durch
die Aufdeckung von Relikten in dem gegenwärtigen Bestände
des Schlosses und auf Grund der Geländebeschaffenheit in die
Lage versetzt, ein ziemlich vollständiges Bild der thüringb
sehen Burg herzustellen. Der gegebene Bauplatz war der Ost-
abhang des Gipfels; er lag hinter dem Gisonenfelsen versteckt,
der Hauptangriffsseite abgewendet. Sonst fiel das Gelände
allerseits steil ab. Die Steinbrüche, die den Gisonenfelsen öst-
lich zur Planierung des Bauplatzes, und westlich zur Herstel-
lung einer Vorburg abschnitten, lieferten genügende Mengen
an Bausteinen. Als Bestandteile der Burg sächsischer Art dür-
fen wir von vorneherein ein Wohnhaus, den Palas an der Süd-
seite und Nebengebäude an der Nordseite annehmen, die
einen kleinen Hof mit der von Türmen flankierten inneren
Pforte umschlossen. Dazu kamen Befestigungen im Nord-
zwinger, der Berchfrit auf dem ausgesparten Grate des Gi-
sonenfelsens, die Außenmauer mit Türmen und Pforte (Mo-
dell III).
Der Palas.
Zunächst ist es gelungen, aus dem Südflügel, wie er heute
vor uns steht, einen alten Bauteil herauszustellen, der in der
dritten Bauzeit in das Fürstenschloß einbezogen worden ist.
Ein Blick auf den Grundriß der zwei unteren Geschosse (T.
126, 127) lehrt, daß diese nicht einheitlich sind, sondern zwei
Bauten angehören, die F. Küch (Hessen-Kunst 1920) auf einem
Kärtchen als Wohnhäuser 2. und 3., ein westliches und ein
östliches bezeichnet. Die südliche Außenmauer bildet an der
Grenze der beiden Bauten einen geringen, äußerlich kaum
bemerkbaren stumpfen Winkel, während die nördliche, an
der Hofseite, gerade verläuft.
Die Südseite. Wenn wir das Schloß von Süden her
betrachten (Abb. 1), so sehen wir rechts den Kirchenbau und
die Renaissance-Rentkammer, links als mächtigen Eckpfeiler
die Schmalseite des Westflügels und dazwischen das 25 m
lange, 20 m hohe Wohnhaus mit seinen wenig übersichtlichen
unruhigen Fensteranordnungen. Uber dem Zierfenster er-
hebt sich der schmückende Erker; der anscheinend sehr alte
viereckige, in der Renaissancezeit überhöhte sogen. Abort-
turm mit dem unrichtig als romanisch angesprochenen Was-
serspeier am ursprünglichen Hauptgesimse steht, abgesehen

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