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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0057
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4. Kapitel.
Die vierte Bauperiode. (Modell VII).

Geschichtliches. Die Umwandlungen des Befestigungswesens. / Das vorläufige Wohnhaus in der Vorburg 1471/72,
der Zelterstall 1472 / Die Befestigungen im Halsgraben: Die behelfsmäßige Bastion 1474/75, der Hexenturm und
die Umgestaltung des Halsgrabens und des Nordabhanges 1478 / Die Westpforte / Die Aufstockung des
Wohnhauses in der Osthälfte 1476/78, die Arkadenstellung im 2. Obergeschoß 1481 / Der auskragende Fachwerk-
bau in der Westhälfte 1486 / Der Erker am Wohnhaus, die Aufstockung des Abortturms / Umbau des Palas in
eine Halle 1477 / Der Neubau der Küche 1477/78 / Der Frauenbau 1486 / Die Badestuben / Der Treppenturm in
der Südwestecke des Hofes 1486 / Der grüne Gang / Kapelle / Saalbau / Die Kanzlei am südlichen Burgweg
1486, die Münze / Der Wilhelmsbau / Der Südzugang (Schloßplatz) / Des Burggrafen Wohnung / Die Pforte zur
Stadt; das Torwärterhaus / Die Treppe zum Nordzwinger als Aufstieg für den nördlichen Burgweg / Die Wasser-
versorgung: Die Wasserkunst in Ockershausen, der Kumpf im Hain, der tiefe Brunnen.

Nach dem Tod des Bischofs Ludwig von Münster war Mar-
burg über 100 Jahre im Besitz der in Kassel residierenden
Hauptlinie; das Schwergewicht lag in der Hauptstadt, und so
hören wir aus Marburg im wesentlichen nur von Wiederher-
stellungsarbeiten, deren bedeutendste der Aufbau der im
Sternerkrieg zerstörten westlichen Burgpforte war. Marburg
konnte nur dann wieder Residenz werden, wenn das Land ge-
teilt wurde, wenn sich aus der Kasseler Hauptlinie eine zweite
Linie abtrennte. Dieser Fall trat zuerst nach dem Tode Lud-
wigs I. des Friedsamen im Jahre 1458 ein. Seine beiden
älteren Söhne Ludwig II. (geb. 1438, gest. 1471) und Hein-
rich III. (geb. 1441, gest. zu Marburg 1483) einigten sich nach
langwierigen Verhandlungen und Zwistigkeiten, ja offener
Fehde im Jahre 1470 endgültig in der Weise, daß Ludwig
Niederhessen mit Kassel, Heinrich Oberhessen erhielt. Dieses
umfaßte den Oberlahnkreis mit Marburg, die Grafschaften
Ziegenhain und Nidda, einige angrenzende Teile Niederhessens
und den Seulingswald mit dem Schloß Friedewald. Nach dem
Tode Ludwigs II. war Heinrich III. als Vormund seiner beiden
Neffen bis zu seinem Lebensende zugleich Herr in Nieder-
hessen. Seine Gattin Anna, die Tochter des Grafen Philipp
von Katzenelnbogen, brachte ihm eine große bare Mitgift mit,
die nach Teuthorn (Band 7, S. 502) 36 000 Gulden betrug.
Mit dem Tode seines Schwiegervaters im Jahre 1479 kam er
in den Besitz der Grafschaften Niederkatzenelnbogen mit der
Festung Rheinfels, der Zollstätte zu St. Goar und der südlich
bis nach Zwingenberg an der Bergstraße sich erstreckenden
Grafschaft Oberkatzenelnbogen mit der Hauptstadt Darm-
stadt. Hier hat Heinrich III. bis zum Sonntag nach Exaudi
1472 residiert. Nunmehr verlegte er seinen Wohnsitz nach
Marburg, wo seine großen Mittel der Ausgestaltung des Schlos-
ses zugute kamen.
Der jüngere Sohn Ludwigs I., L. Hermann (geb. 1449 oder
1450, gest. 1508) wurde 1473 vom Domkapitel zum Beschirmer
und Verweser des Stiftes Köln und 1480 zum Erzbischof und
Kurfürsten daselbst erwählt, vom Papst Sixtus IV. bestätigt.
1474 trat Karl der Kühne von Burgund in der Absicht, sich
am Rhein festzusetzen, gegen Hermann auf die Seite des da-
maligen päpstlichen Kandidaten Ruprecht von der Pfalz.
L. Hermann stützte sich in den Kämpfen vorzugsweise auf
die Feste Neuß, die er bei der 48wöchigen Belagerung selbst
verteidigte; Heinrich III. nahm an der Seite des Bruders an
dieser Kölner Stiftsfehde erheblichen Anteil.
Die Marburger Linie starb mit Heinrichs III. Sohn Wil-
helm d. Jüngeren im Jahre 1500 aus. Damit hatte Marburg
seine kurze Rolle als Fürstensitz ausgespielt und fiel an den

Vetter Wilhelms d. J., Wilhelm den Mittleren in Kassel. Er
wie sein Sohn Philipp der Großmütige, der in Marburg das
Licht der Welt erblickte, hielten sich oft und gern in Mar-
burg auf.
Die Planmäßigkeit der in jenen 3 Jahrzehnten auf dem
Schloß aufgeführten Bauten, die weder durch den Tod Hein-
richs III. noch während der Minderjährigkeit Wilhelms III.
unterbrochen wurden, weist auf eine treibende Kraft hin, die
wir mit F. Küch (1924) in der mächtigen Persönlichkeit des
Hofmeisters Hans von Dörnberg zu erblicken haben. Lagen
in der Hand dieses hervorragenden Staatsmannes die Fäden
der Politik, so konnte F. Küch die gesamte Bautätigkeit in
Oberhessen von 1470 an auf einen Meister, Hans Jakob von
(aus) Ettlingen (in Baden, dem Ausgangsort mehrerer bekann-
ter Baumeister des späteren Mittelalters) zurückführen (Hes-
senkunst 1921). Küch vermutet, daß dieser geniale Mann der
Festungsbaumeister des kriegskundigen Kurfürsten Friedrich
von der Pfalz gewesen und von ihm an Heinrich III. emp-
fohlen worden sei. Hans Jakob stand in der Kölner Stiftsfehde
im Gefolge unseres Landgrafen, mitten in den Kampfhandlun-
gen und konnte reiche Erfahrungen in der Anlage von Befesti-
gungen, in dem Einsatz und der Reichweite der Artillerie sam-
meln. Im Aufträge der Stadt Köln leitete er die Befestigung
von Deutz.
Das System der Befestigungen, das nach den Worten Max
Jähns von 1300 bis 1400 in vollkommener Geschlossenheit ge-
standen hatte, war durch den methodischen Einsatz der Feuer-
schlünde in Unordnung geraten. Um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts begann der Wettlauf zwischen der neuen Angriffs-
waffe und den Gegenmitteln der Befestigungskunst, der nicht
vor dem 17. Jahrhundert zu seinem Abschluß kam. Die Zeiten
der primitiven vertikalen Verteidigung, des Kampfes Mann
gegen Mann, waren für immer vorüber. Die hohen Mauern
und Türme boten keinen Platz für die Aufstellung der Ka-
nonen und ihre Bedienung; sie hielten den schweren Geschos-
sen keinen Stand. Überdies waren die Flankentürme der Burg-
pforte meistens der Angriffsseite abgewendet. Die neue Tech-
nik verlangte mächtige Türme, Rondelle an den Ecken mög-
lichst gedrängter viereckiger Anlagen mit Schießscharten und
Geschützkammern, breiten und tiefen, vor die Curtinen, die
geraden Abschnitte zwischen den Rondellen, vorgelegten Grä-
ben mit Wällen an deren Außenseite; die Wälle mit Holz oder
Mauerwerk bekleidet und von einem äußeren Graben gedeckt,
fingen die rasanten, d. h. flachgehenden Geschosse der Be-
lagerer — vorwiegend noch Steinkugeln — auf und konnten
bei einem Sturmangriff von den Rondellen aus bestrichen

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