Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0106
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6. Kapitel.
Das 17. Jahrhundert, die Festung. (Modell IX und X).
Geschichtliches. Der Artilleriestand des L. Moritz, die große Südterrasse / Der Torweg, das Torhaus (später
Platzmajors-Wohnung) J Die Schmiede / Der Frauenbau / Der Wilhelmsbau / Der Lustgarten / Der Erbstreit
zwischen L. Moritz und L. Ludwig V. / Der Dreißigjährige Krieg / Der Stadtplan Dilichs / Benjamin Bramer /
Die Hessen-Darmstädtische Zeit 1624—1646 / Die Galerie zum Wilhelmsbau / Das Judizierhaus / Umbau des
großen Marstalls. / Der kleine Marstall / Der Wilhelmsbau / Der Frauenbau 1 Die Kapelle / Das Küchengebäude /
Die Zwingergebäude / Des Burggrafen Wohnung / Marburg wieder im Besitz Hessen-Kassels 1646 / Die Befesti-
gung in und nach dem 30jährigen Krieg / Die Befestigung unter L. Karl / Der Frauenbau / Der Küchenbau /
Die Kapelle / Die Westpforte / Die Wasserversorgung: Neubau des tiefen Brunnens, die Heideleitung, die
Wasserkunst.

Geschichtliches.
Ludwig IV. hatte seine zwei Neffen als Erben eingesetzt:
L. Moritz in Kassel (geb. 25. 5. 1572, gest. 15. 3. 1632) er-
hielt die nördliche Häfte Hessens mit Marburg, Ludwig V. in
Darmstadt (geb. 24. 9. 1577, gest. 27. 7. 1626) die südliche
Hälfte mit Gießen. Von dem reichen „Hausgerät“ auf dem
Schloß in Marburg erbte, wie das Inventar vom 9. 3. 1605
verzeichnet, die Linie Darmstadt einen beträchtlichen Anteil.
Der Artilleriestand des L. Moritz,
die Südterrasse 1605106 (Tafel 48).
Das Schicksal der steinernen Basteien, ihre Veralterung in-
folge der raschen Fortschritte auf dem Gebiete des Geschütz-
wesens, teilte auch das Bollwerk des L. Philipp. Die starre
Stellung der Feuerschlünde in diesen Türmen bedingte, je
größer die Reichweite der Geschütze wurde, um so breitere
unbestrichene Räume und tote Winkel zwischen den radiären
Geschoßbahnen. Auch bei mehrgeschossiger Anordnung der
Schießkammern konnte nur ein Bruchteü der gedeckt stehen-
den Kanonen auf eine feindliche Batterie gerichtet werden; zu
einer wirksamen Bestreichung des Grabens und der Curtinen
bei einem mit den neuen Hilfsmitteln gedeckten Nahangriff
reichte das zerstreute Feuer nicht mehr aus. Die Rauchentwick-
lung der großen Pulvermengen konnte weder durch den zen-
tralen Schacht noch durch besondere Abzugskanäle innerhalb
der Mauerdicke unschädlich gemacht werden, sodaß die Be-
dienungsmannschaften bei gedrängter Schußfolge leistungs-
unfähig wurden. Bei Volltreffern auf den Zinnenkranz wurden
außer den Geschossen selbst die umherfliegenden Steinsplit-
ter gefährlich. Die dicken Gebäude gaben der feindlichen Ar-
tillerie ein vortreffliches Ziel. Diese hatte den Vorzug der
beweglichen Aufstellung und des gezielten Feuers, dem die
Bollwerke erliegen mußten.
Bereits nach 70 Jahren hatte man die Bastion des Land-
grafen Philipp abzutragen begonnen; 1592 schleiften Tage-
löhner das Rondell und brachen Steine. Den Mauerschenkel
zwischen Rondell und Schmiede erhöhte man auf 6 m, versah
ihn mit Schießlöchern und deckte ihn und den Stumpf des
Rondells mit Steinplatten. 1605 fiel das Bollwerk; nur der
nördliche Abschnitt blieb als Rundung der Stadtmauer stehen
(T. 142). Im Juni 1633, während des 30jährigen Krieges,
wurde „unter dem hindersten Pforthaus“ aus großen Steinen
und 22 Eckquadem eine 11 m lange, 8 m hohe und über der
Erde 1,27 m dicke Mauer mit 8 überwölbten Schießlöchem
und 3 kleinen Fenstern aufgeführt. Es ist der bei Valentin

Wagner 1632 (T. 142) noch nicht vorhandene, bei der Schlei-
fung der Befestigungen Ende des 18. Jahrhunderts bis auf das
Fundament abgetragene Mauerzug zwischen dem Schmiede-
bau und dem Rest des Rondells (Abb. 27, rechts von 13).
L. Moritz verwendete die Steine für die hohe Mauer seiner
Südterrasse.
Diese neue Bastion bedeutete eine Erweiterung der Vor-
burg um 16 m im Westen, 11 m im Osten auf eine Länge
von 52 m; das ist ausschließlich der zugleich vorgebauten
Schmiede, eingerechnet dagegen den Raum des weggenom-
menen großen Turms und des Wohnhauses von 1471/72, ein
Zuwachs von 800 qm (T. 123). Eine 11 m hohe Mauer am
Südabhang brachte die Terrasse auf die Ebene der Vorburg.
Da sie sich ostwärts bis zum Stadttor erstreckte, wurden die
jetzige Südwange des Torweges und der Gewölbeschluß in
seiner jetzigen Ausdehnung nötig (Abb. 15). Im oberen Ab-
schnitt deuten die Schießscharten auf Kasematten innerhalb
der Terrasse. In der Südwand des Torwegs ist der sog. Wet-
terstein eingemauert, einer jener Harnische, wie sie sich auch
an anderen Stellen, z. B. am Saalbau reichlich vorfinden. Die
Vorgänge, von denen besonders die Abtragung des „dicken
Turms in der Vorburg“ interessiert, sind im Anhang nachzu-
lesen *). Uber dem wesentlich längeren Torweg wurde das
Wachthaus, bestehend aus einem steinernen Untergeschoß,
Fachwerkobergeschoß und teilweise als Wohnung ausgebau-
ten Dachstuhl auf 8,5 m verbreitert (T. 125) 2).
Der Artilleriestand des L. Moritz war berufen, in dem
dreißigjährigen Kriege eine beträchtliche Rolle zu spielen.
Die Schmiede (Tafel 50).
Mit der Südterrasse wurde die Schmiede südwärts bis in
die Flucht der Böschungsmauer vorgebaut. Die Grenze gegen
den alten Bau ist deutlich sichtbar (T. 150, 2). Die Zimmer-
leute trugen das alte Obergeschoß ab, sie sortierten die Bal-
ken und verwahrten sie im Renthof. Das neue Gebäude hatte
nach dem Inventar von 1749 außer dem steinernen Unter-
geschoß 3 Etagen, dazu einen Boden und einen Oberboden.
Die Westfront sehen wir in der Zeichnung Wagners aus
dem Jahre 1632 (T. 142). Uber dem allerdings nur als ein-
fach dargestellten Obergeschoß erheben sich zwei zierliche
Zwerchgiebel mit Rollwerk; das abgewalmte Satteldach trägt
vier bedachte Gauben. Das Kellergeschoß des Anbaues ist
mit 3 Fenstern zwischen zwei vorgekragten Aborten aus-
gestattet; darunter gibt Wagner noch 2 Fensterreihen an, von
denen jetzt nur das linke obere Fenster nachweisbar ist. Diese
gehörte einem tieferen Keller an, dessen Gewölbe in der Bau-

93
 
Annotationen