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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0120
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7. Kapitel.
Das 18. Jahrhundert

Geschichtliches. Die Demolierung der Festung seit dem Jahre 1770 / Die Fortifikations- und Demolierungsdienst-
pflichten / Die Niederlegung der Schanze über dem Renthof, die neue Renthofmauer 1778 / Die Reste der Befesti-
gungen im Jahre 1775 /. Der Abbruch der Kaserne am Behringweg / Die Bestandsaufnahme 1782 / Die Wieder-
herstellungsarbeiten seit 1765 / Der Wilhelmsbau / Erdbeben / Die Löwenordenkomturei / Der Saalbau / Die
Wasserversorgung.

Mit dem Tode des jugendlichen Landgrafen Otto im
Jahre 1617 waren die Zeiten einer fürstlichen Residenz in
Marburg endgültig vorüber. Mit dem 30jährigen Kriege war
der Stadt die Rolle einer wichtigen Festung übertragen wor-
den, die im 7jährigen Kriege noch einmal in die Erschei-
nung treten sollte, um im Jahre 1770 durch einen Beschluß des
Landgrafen Friedrich II. zu erlöschen. Die weittragende Ar-
tillerie hatte die Burg ihrer im Mittelalter beherrschenden
Höhenlage entthront. Demontierbatterien konnten von den
überragenden Gipfeln der Kirchspitze, der Heide, dem 2100 m
entfernten Wannkopf die auf dem Marburger Felsriegel aus-
gebaute Festung unter verheerendes Feuer nehmen. Seit dem
Friedensschluß des Jahres 1648 blieb Marburg dauernd und
unbestritten bei der Linie Hessen-Kassel. Nachdem im Jahre
1731 des Königs Friedrich I. Majestät auf dem Schloß logiert
hatte, war es von der fürstlichen Familie nicht wieder be-
wohnt worden. Im 7jährigen Kriege wurde Marburg wich-
tiger Etappenplatz mit Garnison, Magazinen und Lazaretten
an einer der großen Heerstraßen. Wegen der Einzelheiten
verweisen wir auf die ausführlichen Darstellungen bei Bücking
und Kürschner.
Das Schloß um 1750 (Modell X).
Uber den Zustand des Schlosses um 1750 unterrichten
uns ein Lageplan (T. 125) und das Inventar von 1749.
Die neue Hauptwache. Bemerkenswert ist der Neu-
bau einer in dem Inventar noch nicht aufgeführten neuen
Hauptwache auf dem Nordwestabschnitt der Südterrasse des
L. Moritz (T. 204, Abb. 7 und 8). Das Gebäude bestand aus
einem 7,8 : 28,7 m großen steinernen Untergeschoß und einer
zweigeschossigen Mansarde, die auf 4 Holzstreben vorkragte.
Durch den Eingang in der Mitte der Hoffront kann man in
einen Ehren, zu dessen Seiten die einzelnen Räume lagen:
eine Wachtstube mit Kammer, eine Offizierswachtstube und
eine Arrestantenstube; am Ende führte die Treppe hinauf.
Schilderhäuser standen vor dem Gebäude, sowie vor und hin-
ter dem Stockhaus. Die Vorburg wird als Wachtparadeplatz
bezeichnet. Uber dem Portal war auf der T. 168 wiedergegebene,
mit militärischen Emblemen, Kanonenrohren, Kesselpauken
und Fahnen mit darüberstehendem Medaillon geschmückte
Sturz angebracht, der sich jetzt in der Mauer zwischen Vor-
burg und Bleichplatz befindet. Die einzige bildliche Darstel-
lung gibt von Dehn-Rotfelser (T. 155).
Das Burggrafenhaus blieb bis zum Jahre 1820 er-
halten. Das neue W achthaus wurde am 23.2.1870 auf
Abbruch verkauft, worauf die Südterrasse ihre jetzige Aus-
gestaltung zu einem Garten erhielt. Die auf den Pfosten
der beiden Zugänge, wie auch am Eingang zu dem alten
Körnerschen Garten angebrachten Pinienfrüchte sind Zier-
raten aus dem 18. Jahrhundert; wir finden sie auch an der

Gartenpforte mit der Jahreszahl 1750 bei dem Ochsenius-
schen Hause an der Renthofstraße. Die hohe Batterie
von 1688 wurde im Siebenjährigen Kriege beschädigt. Die
Schmiede war 1749 noch im Gange: Sie enthielt 3 Feuer-
assen, 2 Blasebälge, 2 Ambosse und einen Sperrhacken; das
übrige Handwerkszeug gehörte dem Schmied selber. Außer-
dem hatten in dem Sdimiedebau der Unterkommandant, der
Wallmeister und der Saalwächter ihre Wohnungen. Neben
dem Hexenturm sehen wir die Zwingermauer für den Auf-
stieg von dem Hainwege aus durchbrochen.
Das Erdbeben an der Wende der Jahre
1 7 5 6/57. In der zweiten Christnacht 1756 gegen Mor-
gen wurde von den Schloßbewohnern ein Erdbeben verspürt,
das sich in der Nacht vom 8./9. Januar 1757 wiederholte.
Dies zweite Erdbeben wurde nur von einigen Einwohnern
am Schloßberge bemerkt; der Turmgeselle Andreas Schmitt,
der die Nachtwache hatte, wußte allerhand zu berichten. Der
erste Stoß war vor halb elf Uhr; in viertelstündigen Abstän-
den fanden drei weitere Erschütterungen statt. Der Turm
schwankte unter starkem Getöse von unten herauf, sodaß der
Geselle flüchtete. Die Untersuchung durch den Dachdecker-
meister Bernhard Dauber und den Steinhauer und Maurer-
meister Joh. Martin Spindel ergab folgende Beschädigung
des Turmes: Im Ganzen war er nach einer Seite hin etwas
gesenkt; in der obersten, von acht Pfosten getragenen Kuppel
waren ein Kreuzbalken, auf dem die Sparren stehen und die
Hauptbalken um IV2 Zoll auseinander — die Kuppel zur Seite
gewichen. Ein Riegel daselbst war zerbrochen. Meister
Spindel hatte bereits im Jahre 1755 in dem Archivgewölbe
(Untergeschoß des Wohnhauses), zahlreiche Risse in den Ge-
wölben und einen langen schmalen Sprung in dem Mittel-
pfeiler gefunden; er setzte damals einen neuen Pfosten in
eins der Fenster ein. Außerdem stellte er mehrere Risse in
der Kapelle und in der Rentkammer fest, ohne sich über
ihr Alter äußern zu können. Diese Schäden wurden an den
Landbaumeister Jussow in Kassel berichtet. Vielleicht ist der
Sprung in der schmalen Westseite des Saalbaues, der das
Gewände des nördlichen Fensters im Festsaal durchdringt, auf
dies Erdbeben zurückzuführen. Auch der Wilhelmsbau wurde
in Mitleidenschaft gezogen. Der Baumeister Möller berich-
tete 1792: „Der Sprung in der äußeren Mauer des neuen
Baues ist 1756 durch ein Erdbeben entstanden; ich habe sol-
chen bereits 1774 wahrgenommen und ersehen, daß solcher
dem Bau weiter keinen Schaden bringen und daß die Mauer
ohnverändert geblieben ist. Die Frau Burggraf Schröderin
wird sich versehen haben“. Der Sprung ging nach der Äuße-
rung des Bauschreiners Greif von oben bis in das Fundament.
Dieser und mehrere kleine Risse wurden bei der Instand-
setzung des Schlosses im Jahre 1927 gründlich versorgt.
In derZeit vom 11. bis 16. Januar 1757 gab es einen Süd-
weststurm, der in der Nacht vom 13./14. am stärksten tobte,

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