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Justi, Karl
Das Marburger Schloß: Baugeschichte einer deutschen Burg — Marburg-Lahn, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.41372#0109
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Landgraf entschied sich für einen prächtigen steinernen Neu-
bau, der die Treppentürme im Küchenbau und im Wilhelms-
bau verband (Zeichnung von F. M. Hessemer 1820, T. 137);
er wurde im Jahre 1820 wegen angeblicher Baufälligkeit abge-
tragen.
Am 5. 5. 1625 wurde das Gedinge festgesetzt5).
Die Tür zur Treppe im Küchenbau ist im vorigen Kapitel
besprochen worden (S. 70); die Tür im Treppenturm des
Wilhelmsbaues, in der Höhe der landgräflichen Wohnung, hat
die gleiche Profilierung: Karnies auf Schräge, etwas oberhalb
der Schwelle auf kleinen Pyramiden endigend.
Für die beiden Türstürze meißelte der Bildhauer Adam
Frank zwei Wappen; das Material gehört dem unteren Bunt-
sandstein an, sodaß die Plastiken, dazu noch freistehend, er-
heblich verwittert sind.
Das Gedinge lautet: „Meister Adam Frank, Bildhauer aus
Gießen, auf Rechnung zweiger fürstlicher wapfen, so er ufs
schloss zum neuen gallerei bau, jedes 4 schuch hoch und 3
schuch breit machen soll, dass sali er die fr. wapfen auswen-
dig mit bildern und mit einem zierlichen compertament ver-
zieren und über den wapfen eine abdachung mit einem ge-
simbs zu machen“. Der Bildhauer Hans Röther ging dem Mei-
ster Frank zur Hand. Der Hofmaler Joist Kolbe erhielt „20 g.
an 12 hispanischen Talern von den beiden fürstlichen wapfen
vorne an der neuen gallareihen von seinem gold, Silber und
färben zu staffirn und malen“. Bei dem Abbruch der baufällig
gewordenen Galerie im Jahre 1820 kamen die beiden Pla-
stiken in die Mauer zwischen Vorhof und Bleichplatz
(T. 167)6).
An den zierlichen Bau erinnern außer dem Rosettenstein
am Nordostpfosten des Tunnels zwei Spuren der nördlichen
Bogenführung: Der Gewölbeansatz in der Ecke des Treppen-
turms am Wilhelmsbau oberhalb eines 26 cm Kämpfergliedes
toscanischer Ausbildung (T. 198, 13, Tafel 4) und gegenüber
am Küchenbau eine Mauernische, in der der westliche Zwickel
geruht hat.
Der südliche Ansatz am Treppenturm des Wilhelmsbaues
wurde 1880 bei dem Neubau der Galerie beseitigt, der De-
fekt durch roten Sandstein gedeckt.
Das Judicierhaus 1626
(T. 204, Abb. 4—6, T. 205, Abb. 1, Modell X).
Das Judicierhaus steht, 7 : 12 m groß, auf abschüssigem
Gelände im Lustgarten; die Brüstung des Zuschauerraumes
liegt 3 m über dem Turnierplatz. 5 zierliche Pfeiler an der
Front und die 3 geschlossenen Wände tragen das abgewalmte
Sattelldach. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Sattel-
dach zwischen geschmückten Giebeln der Schmalseiten; in
diesem Falle würden wir das Gebäude bei Wagner (T. 142)
angedeutet sehen. Der Eingang erfolgt von vorne über eine
steinerne Treppe. 1627 wurde auch an der Rückseite ein Zu-
gang mit 4 abwärts führenden Stufen eingerichtet. Damals
gab es bei der Vermählung des L. Georg II. mit der Her-
zogin Sophia zu Sachsen ein großes Turnier mit Stechen nach
Türkenköpfen und Ringelrennen, wofür die strengen Spiel-
regeln in 23 Artikeln ausgearbeitet waren. Im selben Jahre
wird die „Falknerei“ im Lustgarten erwähnt und das neue
Reithaus erbaut, an dessen Stelle 1635 ein großer Marstall
gesetzt wurde. Quer unter diesem hinweg zum breiten Weg
führte ein 13,3 m langer gemauerter Gang, eine Audaute, in
der die Wasserleitungsröhren von und zu dem Wasserturm
lagen.
Der Umbau des großen Marstalles 1628/30.
1625 wurden steinerne Krippen in den Marstall eingebaut,
1626 fanden Reparaturen im Gebäude sowie an den Dächern

des kleinen Marstalls und des Zeughauses statt. Der große
Marstall hatte durch die Beschießung im Jahre 1624 so stark
gelitten, daß der Dachstuhl und das Fachwerk neu erbaut
werden mußten Im Jahre 1628 wurde das Dach durch Stein-
decker und Zimmerleute teilweise abgetragen. Am 4. 5. 1629
ordnete L. Georg auf Vorschlag des Geheimen Rats, des
Statthalters und des Kammerschreibers an, daß die Wand der
Hoffront bis zur Höhe des Daches aus Stein aufgemauert
würde, wobei die Kosten höchstens 100 Taler mehr betragen
würden als für einen Fachwerkbau 7).
Der Marstall erhielt damals im großen und ganzen sein
gegenwärtiges Aussehen. Um unsere Darstellung auf Seite 71
abzuschließen, sei hier das prächtige Portal besprochen, das
ursprünglich eine Zierde des im Jahre 1573 erbauten Wohn-
hauses des Bürgermeisters Jacob Blankenheim am Steinweg
gewesen ist. Das Meisterwerk der Renaissanceplastik wurde
1897 bei dem Umbau jenes alten Wohnsitzes in das „Cafe
Quentin“ abgetragen. Von dem Konservator Ludwig Bickell
gerettet, lag es einige Zeit auf dem Vorplatz zum Nord-
zwinger und wurde dann dem Marstall vorgebaut (T. 206,
151) an Stelle einer schlichten Eingangstür mit geradem Tür-
gericht, rechteckigem Oberlicht und Karniesprofil am Gewände
(T. 150). Niemeyer hat das Portal beschrieben: „Der Rund-
bogeneingang öffnet sich in der Mitte einer 5 m breiten,
3,4 m hohen Wandfläche, die als Aedikula mit je einem seit-
lichen Paar korinthischer Säulen ausgebildet ist. Die Wand
ist in mittlerer Höhe durch das seitlich weitergeführte Kämp-
ferprofil durchzogen und von einem dreiteiligen Gebälk ab-
geschlossen; seine Glieder sind mit Ausnahme der Sima, der
obersten Deckplatte, verkröpft. Die seitlichen Flächen zwi-
schen den Säulen und der leicht abgeschrägten Laibung der
Portalgewände werden durch Flachbogen mit Muschelbekrö-
nung belebt. Die Nischen der Portalgewände stehen auf Sitz-
konsolen. Hinter den Säulen sind ebenfalls schmale Flach-
nischen angebracht. Die Archivolte des Türgewölbes, der Fries,
die Säulenschäfte und die Postamente sind mit Ornamenten-
schmuck verziert. Die Bogenzwickel werden von geflügelten
Engelsköpfen ausgefüllt.“ An der Säule rechts von der Tür-
öffnung befindet sich in der mittleren Rinne in 45 cm Höhe
das Steinmetzzeichen Tafel 16, 129, das auch an der Kamin-
verkleidung im Festsaal in fast übereinstimmender Form vor-
kommt.
Der große Marstall diente nunmehr als Kaserne. In dem
Obergeschoß wurden „logements“ für die Soldaten eingerich-
tet. Der Stall wurde aufgegeben und zunächst zur Lagerung
des Holzes benutzt, das beim Abbruch des kleinen Marstalls
verfügbar geworden war. 1672 waren, wie auch im Zeughaus,
bei Platzmangel Gefangene untergebracht. 1680 wurden die
oberen Geschosse zu Wohnungen ausgebaut; nach dem In-
ventar von 1749, aus dem die Einteilung ersichtlich ist, hatte
der Saalwächter im ersten Obergeschoß seine Wohnung. Der
jetzige innere Ausbau ist neuzeitlich und hängt mit der Er-
richtung des Treppenturms (T. 141, 214, 1, rechts neben dem
Hexenturm) an der Nordfront in den 70er Jahren zusammen.
Der kleine Marstall (T. 124).
Das Dach des kleinen Marstalls hatte ebenfalls sehr gelit-
ten; es wurde im Jahre 1631 ab genommen und neu gebaut,
nachdem im September 1630 die Zimmerleute den Giebel mit
Borten zugeschlagen hatten. Sein Holzwerk, das Dach, die
Giebel wand mit allem Zubehör wurde für den Neubau eines
9 m langen, 4,5 m breiten Stalles im Holzzwinger verwendet.
Die Strohdecken von dem Schöpfen (Strohdach) wurden teils
wieder verwendet und neu gelattet, teils zu einer 20 Schuh
langen Decke für das im großen Marstall gelagerte Bauholz
verarbeitet.

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