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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Wolf, Georg Jacob: Kunst und Revolution: Glossen zu einem aktuellen Thema
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0236

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heißender Arbeit erzogen werden. In ähnlicher
Weise könnte die Erziehung der Architekten
in neue Bahnen gelenkt werden; vor allem
wäre es dabei notwendig, die Architekturklas-
sen aus den andersgearteten Ingenieurschulen
herauszunehmen und etwa die gewerblichen
Bauschulen zu Bauakademien (soweit diese
nicht schon als Lehranstalten bestehen) auszu-
bauen.
Anders liegen die Verhältnisse für den Kunst-
akademiebetrieb. Daß da manches faul ist, kann
nicht bestritten werden. Indessen hieße es, das
Kind mit dem Bad ausschütten, wenn man ganz
schlicht und einfach die Auflösung der Aka-
demien dekretierte. Man darf nicht vergessen,
welche Förderung die Kirnst, besonders die
Malerei, in entscheidenden Stunden vom Lehr-
betrieb in den Klassen echter Kunsterzieher
(es sei an Wilhelm von Diez in München er-
innert) erfuhr. Man übersehe auch nicht, daß
die Schuld an dem sogenannten Akademieelend
durchaus nicht die Lehrer allein, sondern in
ebenso hohem Maße die Studierenden tragen.
Vielleicht könnte man sich auf den vermit-
telnden Vorschlag festlegen, der dahin geht,
es seien künftighin die Lehrer an den Aka-
demien nicht mehr auf Lebenszeit, sondern
jeweils nur auf fünf oder sieben Jahre zu be-
stellen mit der Möglichkeit einer Neuwahl oder
Neubestätigung nach Ablauf dieses Zeitraumes.
Zweifellos hätte diese Institution das Gute, daß
mehr Fluß und Bewegung in den akademischen
Lehrbetrieb käme, daß das Kunstbeamtentum
und seine Erstarrungserscheinungen ausgeschal-
tet blieben, aber andererseits würde dieses Ver-
fahren auch voraussetzen, daß die Akademie-
professoren in einer ganz anderen Weise als
heute vom Staat honoriert werden müßten.
Der Erwägung in ruhigeren und gerechteren
Zeiten bliebe es Vorbehalten, ob die durch solche
Terminberufungen in den Lehrbetrieb ge-
brachte Unstetigkeit und die Ausschaltung
der Schultraditionsbildung der Entwicklung der
Kunst nicht mehr Abbruch täten, als sie ihr
Nutzen brächten.
Eine weitere Forderung gilt der Neurege-
lung des Ausstellungswesens. Wer sich vom
Staat nicht mehr bevormunden lassen will, ist
natürlich noch weniger geneigt, sich die Bevor-
mundung der Kollegen gefallen zu lassen. Dar-
um wird gefordert: Weg mit jeder Jury der
Ausstellungen! Ob solchermaßen künftighin
sehr viel bessere und interessantere Ausstellun-
gen Zustandekommen, darf man füglich bezwei-
feln, aber man versteht es, daß ein Zeitalter,
das sich gegen jeden Terror sträubt und für
Individuumsrechte so laut wirbt, das Verlangen
stellt, daß jeder und jede Gelegenheit habe,

seine Arbeiten in die Öffentlichkeit zu bringen.
Dabei wird indessen in den Debatten vielerorts
betont, daß Ausstellungen an sich ganz gewiß
keinen Idealzustand darstellen, daß vielmehr
das künstlerische Schaffen für einen ausgespro-
chenen Zweck dem Malen und Modellieren
„auf Vorrat“ himmelweit vorzuziehen wäre.
Diese aus historischer Betrachtung bestätigte
Erkenntnis wird namentlich von der Archti-
tektenschaft propagiert mit dem Erfolg, daß
die Architektur heute mehr als je als die Zentral-
kunst erscheint und alle übrigen Künste um
sich gruppiert. Besonders in dem von Bruno
Taut ausgearbeiteten, teilweise sehr beherzi-
genswerten, zum Teil aber auch den Bo-
gen überspannenden Architekturprogramm des
Berliner Arbeitsrats für Kunst wird die Stel-
lung der Baukunst als der Nährmutter aller an-
deren Künste und die Möglichkeit, die übri-
gen Künste organisch und nutzbringend um sie
anzuordnen, mit Nachdruck vertreten.
Zu diesen Hauptforderungen und Hauptpunk-
ten der Bewegung, die im Laufe ihrer Entwick-
lung von einer Folgeerscheinung des staatlichen
Umsturzes zusehends zu einer Künstlerrevo-
lution (noch nicht aber zu einer Kunstrevo-
lution) wurde, treten eine Reihe von Fragen
und Dingen, in denen sich die Künstlerschaft
künftighin Einfluß und Geltung verschaffen
will: Künstler verlangen Sitz und Stimme in
den Parlamenten, um die Gesetzgebung beein-
flussen zu können, fordern die Vergebung aller
öffentlichen Bauten auf dem Weg des Wettbe-
werbs, heischen Einfluß auf das Galerie- und
Museumswesen und auf die Verwaltung der
Sammlungen, wollen ihre Ideen im Bühnen-
und Lichtspielwesen und in allen Bekundungen
des öffentlichen Lebens zur Geltung bringen
und noch vieles andere.
Wohl das meiste von all dem ist heute noch
nicht ausgegoren, lebt nur in unfertigen Bildern
und ist keineswegs spruchreif. Aber die Mächte
der Bewegung sind und bleiben zunächst, wie
es scheint, am Werk. Die Künstlerschaft, das
ist ihr Recht, muß ihre Stellung behaupten, viel-
mehr: sich in dem neuen Staats- und Gesell-
schaftsgebilde einen Platz erringen, der ihrer
würdig ist. Der Künstler muß vor allem die
Möglichkeit der von Ruhe umhegten Arbeit
wieder erhalten. Ist aber einmal der aus der
Not geborene und aus der Tiefe der Überzeu-
gung kommende Stoß und Sturm geschehen,
so muß des Organisierens auch wieder ein Ende
sein und schleunigst die Rückkehr des Künst-
lers in seinen eigenen Bezirk erfolgen, damit
nicht über den Angelegenheiten der Künstler
zuletzt die Kunst selbst Schaden leide!
Georg Jacob Wolf

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