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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Singer, Hans Wolfgang: Charles Meryon
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0390

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CHARLES MERYON FISCHFANG IN OZEANIEN (RADIERUNG)

CHARLES MERYON

Meryon war in der Marine, ehe er sich zur
Kunst wandte, und wegen mißlicher Geld-,
sowie anderer Verhältnisse konnte er sich nicht
der Malerei widmen, konnte überhaupt kein
geregeltes Studium vornehmen. Eugene Blery
hat ihm wohl einige Anleitung im Radieren
erteilt, was er aber gelernt hat, hat er, — wie
die armen Kunstjünger, die um ein bis zwei
Lebensalter älter wie er waren, — durch eigenes
Studium in seinen vier Wänden erworben und
in der Hauptsache durch Kopieren alter Meister.
Loutherbourg, Salvator Rosa, Karel Du Jar-
din, Adriaen van de Velde waren die Künstler,
deren Blätter er als Vorlagen nahm; dann aber
auch Reinier Nooms, genannt Zeeman. Dieser
ist der bestimmende Meister für ihn gewesen,
und die ganzen sechzehn Jahre, daß Meryon die
Nadel führte, ist dessen Einfluss für den be-
rühmten französischen Radierer des 19. Jahr-
hunderts bestimmend geblieben. Das wird leicht
vergessen über der Bewunderung, die wir dem
Meister des „Abside de Notre-Dame“ oder der
„Rue des Mauvais Garijons“ oder des „Stryge“
zollen. Aber unter dem ersten Dutzend Platten,
die Meryon radierte, befindet sich die Kopie
nach Zeemans „Riviöre de Seine et l’angle du
Mail ä Paris“, das ganz die Technik und Auf-
fassung von Meryons Landschaften, — auch
den späten, — aufweist, sowie die Kopie nach
Zeemans „Pavillon de Mademoiselle et une
partie du Louvre“, dessen Stimmungsgehalt,
Ausgangspunkt und Ziel bereits ganz dieselben
sind, die Meryon zeitlebens erfüllten. Der „Pont
au Change“ ist ja sogar in Äußerlichkeiten
diesem Vorbild treu geblieben.

Wir bewundern in Meryon den gottbegna-
deten Künstler, der einen graphischen Stil ent-
faltet hat, der zu den größten Kunstleistun-
gen aller Zeit gehört. Aber wenn er ein Meister
der Linie, ein Meister der Stimmungszeichnung
war, so ist er das gewissermaßen trotz seiner
selbst geworden. Gewollt hat er das alles nicht:
klar und bewußt strebte er nicht nach diesen
Zielen. Er wollte vielmehr blos ein topogra-
phischer Radierer sein, der seinen Leuten Wahr-
heiten erzählt, wie sein Vorgänger Nooms es
getan hatte. Wenn wir die Hauptstücke seiner
Lebensarbeit herausnehmen, so ist es uns heute
völlig Nebensache, daß dieses Blatt einen Winkel
aus Bourges, jene anderen jetzt abgebrochene
Stadtbilder von Paris vorführen. Wir bewun-
dern die staunenswerte Luftperspektive auf
einem Blatt, die dichterische Kraft auf dem
anderen, die es ihm ermöglichte in einen Bau
gleichsam eine Seele hineinzuhauchen, daß er
uns wie ein schicksalleidender Mensch vor-
kommt, oder endlich die künstlerische Kraft,
die es ihm leicht machte, einen so unschein-
baren Stoff wie ein Baugerüst vorzunehmen,
um daraus eine packende Zeichnung zu gestalten.
Meryon selbst dachte also an ganz andere
Dinge. Baudelaire hatte seine liebe Not mit
ihm. Er schreibt einmal: „Und dann, Meryon!
Ach, mit dem ist’s einfach nicht zum Aushalten.
Delätre bittet mich einen Text für das Album
zu verfassen. Gut! Da wäre einmal eine Ge-
legenheit, träumerische Eingebungen in zehn,
in zwanzig, in dreißig Zeilen zu schreiben,
über schöne Stiche, philosophische Träumereien
eines herumstreifenden Parisers. Aber Herr

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