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Aus dem eng gekammerten und lichtschwachen Vorraum tre-
ten wir in den hellen Doppelraum mit seinen Werken der-Spät-
gotik ein. Goldgrundige Tafelbilder und die Figuren der Heiligen
erinnern greifbar an das „christliche Mittelalter", an die Aufgabe
ihrer Kunst, den religiösen Vorstellungen Gestalt zu geben.
Gewiß wird auch anderes formuliert, es bleibt aber dem Religiö-
sen untergeordnet oder es wird auf dieses bezogen.
Zur Vereinfachung der Beschreibung und Darstellung von Stil-
und Materialproblemen fassen wir die Steinplastiken, die Bilder,
die Schnitzwerke und schließlich den Inhalt der Vitrine zusam-
men. Die Steinbildwerke, womit begonnen sei, entstammen alle
dem Heiligkreuz-Münster, einem Bau des Heinrich Parier und
einerderSchulorte seines Sohnes Peter, dem nachmaligen kai-
serlichen Baumeister in Prag. Der 1351 begonnene Gmünder
Hallenchor wird als der Gründungsbau der deutschen Spätgo-
tik und die statuarische Festigkeit und Rundung ihrer Portalpla-
stik als das neue Wirklichkeitsverständnis der Parier gerühmt.
Das lehrt am eindringlichsten das nahe Bauwerk selbst, auch
etliche seiner schweren Skulpturen, die neuerdings im nördli-
chen Seitenschiff der Johanniskirche, jedoch nicht hier in den
Schauräumen, aufgestellt werden konnten. Hier sehen wir uns
mehreren Wasserspeiern gegenüber. In der Nahsicht haben die
apotropäischen (Unheil abwehrenden) Sinnfiguren eine fast
erschreckend große Gestalt, dieser Drache mit seinem Feder-
leib, die bis auf die Schnallenschuhe nackte weibliche Gestalt
mit dem Kopf eines Affen,9 die kauernde Hexe, die in ihrer flei-
schlich-runden Leiblichkeit eine hockende Frau zum Vorbild
hatte, ausgenommen das Gesicht mit der vorgetriebenen Nase,
den blicklosen Augen, den gequetschten Ohrfragmenten und
der Höhle des Mundes; er goss das über die oberseitige Rinne
zugeführte Wasser aus, hinab auf die Gassen.
Der Baldachin (um 1315, Sandstein, 50 cm), Anfänger der rech-
ten Turmfiale des Münster-Westportales (und dort von einer
Kopie ersetzt), war Schutz- und Zierdach einer gotischen Sta-
tue, die einer derart überragenden Bedeckung zur Überhöhung
und architektonischen Einbindung bedurfte. An diesem oktogo-
nen Baldachin, dessen Flächen mit Wimpergen und die Ecken
mit Strebepfeilern besetzt sind, ist die Unterseite zu einem
Sternrippengewölbe ausgehöhlt. Dessen rückwärtigen Ansatz
bereichert ein erstaunlich lebendiges Köpfchen mit weit geöff-
netem rufendem Mund. Von der einstigen Bemalung zeugen
noch Reste von Rot und Blau.
10 Bei der Blattmaske (um 1350, Sandstein, 35 cm) - eine von 19
des Münsters -, die als Konsole für eine Statue beim Südportal
diente, ist das dekorative Element betont. Aus dem Zentrum der
Maske, das Kugelaugen, Knollennase und geschürzte Lippen
bilden, entströmen in geriefelten Wellen Bart- und Haupthaar,
das in einen Blattkranz übergeht: Ein Menschenbild wandelt
 
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