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Zu Gmünds Geschichte und Kunst

Um 1600 spürt man wieder etwas von kulturellen Be-
dürfnissen. Erwähnenswert das 1575 von Balthasar
Riecker für die Pfarrkirche gemalte Hungertuch1 , ins-
besondere die Neubeschaffung von Altären: 1596/97
das Frauen-Kindbett in der Pfarrkirche, ein Kastenaltar
mit Tonfiguren2, 1600 ein Altar für St. Katharina, von
Stuttgart beigebracht um 47 fl (s. S. 46), 1606/07 ein
Heiliges Grab für die Pfarrkirche. Dieses muß, gemes-
sen an den Aufwendungen und der Beteiligung etlicher
Handwerker und Künstler (darunter die Maler Küchler,
Ramser und Schreiner) ein größeres Werk gewesen sein
(s. S. 46). 1624, so berichtet Debler (Chronik V, 158),
sei einneuer Altar in die Johanniskirche und in die'Ka-
pelle St. Sebald gekommen.
Einer der Gmünder Künstler macht in dieser Zeit von
sich reden. Er hat den Mut, als Künstlerunternehmer
und Verleger aufzutreten. Eine Hochzeit im württem-
bergischen Herzogshaus, gefeiert im November 1609 in
Stuttgart, motiviert ihn, die Repräsentatio der fürstli-
chen Aufzug- und Ritterspiel zu illustrieren. Der volu-
minöse Band mit seinen über 240 Radierungen ist gra-
diert und gedruckt durch Balthasarn Küchlem, Burgern
und Mahler zu Schwäbischn gmünd.
Zweifellos war der Steinmetz, Bildhauer und Werkmei-
ster Caspar Vogt II auf seinem Gebiet begabter. Schon
dem jungen Vogt sagen die Gmünder ein auffallend
handwerkliches Geschick nach, Kaiser Ferdinand III.
äußert sogar, so kunstfertiges wie dessen Salvatorbau
noch nie gesehen zu haben, wo Vogt aus der anstehen-
den Stubensandsteinbank eine Doppelkapelle samt ei-
ner Gethsemaneszene mit fast lebensgroßen Figuren
herausschälte. Vogt mangelte es nicht an Tatkraft und
Kunstvermögen, wohl aber an hoher Schulung und
Welterfahrung. Eine Enge des Denkens liegt bleiern auf
seinen Konzeptionen, seine Figuren können sich nicht
freimachen von ihrem kleinbürgerlichen Habitus. Das
lasten wir ihm nicht an, sondern seiner unseligen Zeit,
die es ihm verwehrte zu reisen, in eine flämische oder
italienische Werkstatt zu gehen3.
Ein produktiver Gmünder Maler jener Zeit ist Christoph
Friedel, fähiger allerdings der 1620 aus Passau nach

1 Dieses Fastentuch wurde 1775 durch ein neues ersetzt, gemalt
von Johann Georg Strobel um über 1500 fl. Es diente bis 1811, bis es
auf Anweisung der Geistlichen zerschnitten wurde. (Debler, Chronik,
VI, 495)
2 Vielleicht war an diesem Mariä-Geburt-Kasten der Hafner Endris
Ebner beteiligt. Der Altar wurde 1813/15 hinausgetan. (Debler,
Chronik I, 155; V, 500.- Kissling, Münster, 126, 176

Gmünd gekommene Ulrich Sturm. Seine wenigen er-
haltenen Arbeiten versprachen Neues im verständigen,
zeitgemäßen Gebrauch der bildnerischen Mittel, wie sie
Meister im Übergang vom Manierismus zum Frühba-
rock verwendeten. Doch ihm war nur ein kurzes Leben
vergönnt.
In dem langen Krieg 1618-1648 ging es ums Überle-
ben, vor allem ab 1629, als Gmünd unmittelbar vom
Kriegsgeschehen getroffen wurde. Deshalb wissen wir
auch wenig aus der frühen Schaffenszeit des Büchsen-
schifters Georg Maucher, der aus Haisterkirch bei
Waldsee gekommen 1628 in Gmünd heiratet, Stammva-
ter einer namhaften Kunsthandwerkerfamilie. Zu den
bemerkenswerten künstlerischen Taten jener Zeit muß
der Merianstich Gmünd von 1643 gezählt werden. Er
stellte die Stadt in einer Wirklichkeitstreue und Kunst-
auffassung vor, wie sie bis dahin kein Gmünder ge-
sehen und formuliert hatte. Merian machte vor, wozu
die Vedutenkunst fähig war.
Als der Krieg sich zu Ende geschleppt hatte, versucht
der Magistrat, wiewohl immer noch Soldaten durch
Gmünd zogen, geordnete und ausreichende Lebensver-
hältnisse wieder herzustellen. Das Amtshaus in Iggin-
gen wird errichtet, die Sägemühle 1648 in Stand ge-
setzt. In diesem Jahr gibt die Stadt für Handwerksleute
624 fl aus, 1649 931 fl, 1650 1917 fl. Und schon mel-
den sich fremde Handwerker auf der Suche nach Arbeit
und Fortkommen. 1645 sehen wir einen Allgäuer im
Pfarrhof Iggingen tätig, 1648 Schweizer Maurer in Wei-
ler in den Bergen, Waldstetten, Alfdorf und Frickenho-
fen, 1658 türolische Maurer am Amtshaus in Waldstet-
ten.
Die ausgeblutete Stadt konnte von nirgends Hilfe erhof-
fen, weil sie niemand zu geben vermochte. Einen Auf-
schwung voll Zuversicht wird man die Neuanfänge
nicht nennen wollen, auch die wenigen künstlerischen
3 Ein Vergleich mit dem Weilheimer Georg Petel (*um 1601, +
1633) drängt sich auf, mit diesem Großen der deutschen Barockpla-
stik. Nicht nur in seiner oberbayrischen Heimatstadt lernte er, sondern
auch in den Niederlanden und in Italien. Die Gegenüberstellung von
Weilheim und Gmünd ist nicht weniger aufschlußreich. Dort die seit
eh kleinere Stadt, doch von einem katholischen Umland befruchtet,
das Aufgaben stellte und bezahlen konnte, hier die im Zeitalter der
Religionskriege eingeschnürte Reichsstadt. Dort eine Blüte der Kunst
mit einer Fülle von Talenten (Krümper, Betle, Degler, Steinle,
Petel. ..), ohne die eine bayerische Kunstgeschichte nicht zu schrei-
ben ist. hier eine Periode künstlerischer Dürftigkeit. Dieser Blick über
das Remstal hinaus stutzt Gmünder Lobreden zurecht, auch die von
Bruno Klaus, der Gmünd als eine Stadt der Künstler rühmte. Ist hier
nicht Geschichte durch Mythos ersetzt?

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