OSWALD BIEBER.
Direktionszimmer der Münchener Rückversicherung.
schönsten modernen Brunnen, den Wittelsbacherbrunnen, wie sich solche aus der Anschauung
gewonnene „Theorie" in der Praxis auswirkt. Was wir heute an echter Baukultur haben: G. Besteis
meyer, Th. Fischer, Bieber, R. Berndl, E. Pfeifer, Bruno Paul u. a., das ist organisch und anschaulich aus
der Kunst der Seidl, Hildebrand und Stuck erwachsen. Diesen Künstlern ist es gelungen, das Hauptpro*
blem des Kunstschaffens zu lösen: Das richtige Verhältnis zu finden von Tradition und Originalität.
Bald nachher, auf den Plan gerufen durch den Aberwitz des Jugendstils, setzte jene dankenswerte
kunsterzieherische Arbeit ein, die der Dürerbund und der Kunstwart geleistet haben. Ich denke
insbesondere an Schultze*Naumburg und Lichtwark, die an Beispiel und Gegenbeispiel einem weiten
Publikum die Augen geöffnet haben für die Sinnwidrigkeit und Gefühlsroheit der modernen Durch«
Schnittsproduktion des Jugendstils sowohl, wie des verballhornten Durchschnittshistorismus.
Wie hundert Jahre vorher, wurde Schlichtheit und Einfachheit der Formgebung, dabei aber Echt«
heit des Materials, die sich auch des ärmlichsten Materials nicht schämen sollte, wichtige Forderung.
Und da das zu bekämpfende Unwesen in den angewandten Künsten immer und immer mit sinn«
widriger, unechter Dekoration behaftet war, so konnte es nicht ausbleiben, daß bei den neu Erzogenen
der Schmuck als sinnfälligstes Merkmal des Schlechten überhaupt genommen wurde. Es geht zweifellos
zu weit, unbedingten Verzicht auf Schmuck als zum „Ausdruck unserer Zeit" gehörig zu fordern. Keine
Zeit ist in ihrem künstlerischen Ausdruckswillen so eng, daß sie nur eine Seite ihres Wesens, und
höchstens als solche könnte man absolute Schmucklosigkeit bezeichnen, ausdrücken wollte.
Zugleich wird deutlich, daß diese extreme Schmuckgegnerschaft zwar ein ausgezeichnetes pädago«
gisches Hilfsmittel, um den Kunstfremden an Wesentliches der Kunst heranzuführen, im Grunde aber
nichts Positives, Richtunggebendes sein kann. Das zeigte sich deutlich: Solange die Führer der
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Direktionszimmer der Münchener Rückversicherung.
schönsten modernen Brunnen, den Wittelsbacherbrunnen, wie sich solche aus der Anschauung
gewonnene „Theorie" in der Praxis auswirkt. Was wir heute an echter Baukultur haben: G. Besteis
meyer, Th. Fischer, Bieber, R. Berndl, E. Pfeifer, Bruno Paul u. a., das ist organisch und anschaulich aus
der Kunst der Seidl, Hildebrand und Stuck erwachsen. Diesen Künstlern ist es gelungen, das Hauptpro*
blem des Kunstschaffens zu lösen: Das richtige Verhältnis zu finden von Tradition und Originalität.
Bald nachher, auf den Plan gerufen durch den Aberwitz des Jugendstils, setzte jene dankenswerte
kunsterzieherische Arbeit ein, die der Dürerbund und der Kunstwart geleistet haben. Ich denke
insbesondere an Schultze*Naumburg und Lichtwark, die an Beispiel und Gegenbeispiel einem weiten
Publikum die Augen geöffnet haben für die Sinnwidrigkeit und Gefühlsroheit der modernen Durch«
Schnittsproduktion des Jugendstils sowohl, wie des verballhornten Durchschnittshistorismus.
Wie hundert Jahre vorher, wurde Schlichtheit und Einfachheit der Formgebung, dabei aber Echt«
heit des Materials, die sich auch des ärmlichsten Materials nicht schämen sollte, wichtige Forderung.
Und da das zu bekämpfende Unwesen in den angewandten Künsten immer und immer mit sinn«
widriger, unechter Dekoration behaftet war, so konnte es nicht ausbleiben, daß bei den neu Erzogenen
der Schmuck als sinnfälligstes Merkmal des Schlechten überhaupt genommen wurde. Es geht zweifellos
zu weit, unbedingten Verzicht auf Schmuck als zum „Ausdruck unserer Zeit" gehörig zu fordern. Keine
Zeit ist in ihrem künstlerischen Ausdruckswillen so eng, daß sie nur eine Seite ihres Wesens, und
höchstens als solche könnte man absolute Schmucklosigkeit bezeichnen, ausdrücken wollte.
Zugleich wird deutlich, daß diese extreme Schmuckgegnerschaft zwar ein ausgezeichnetes pädago«
gisches Hilfsmittel, um den Kunstfremden an Wesentliches der Kunst heranzuführen, im Grunde aber
nichts Positives, Richtunggebendes sein kann. Das zeigte sich deutlich: Solange die Führer der
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