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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 75.1925

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Kiener, Hans: Stilbildungstheorien in der Vergangenheit und Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0095
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ED. PFEIFFER.

Haus Laeis, Hamburg.

klärung begonnen und von der Romantik vollendet wurde. Daran ist nichts zu ändern. Die eine oder
andere dieser Richtungen aber als die Vertreterin unserer Zeit und die ihr entsprechende Form als
den Ausdruck unserer Zeit, z. B. die technische oder die primitive, erklären zu wollen, widerspricht
eben der Charakterisierung unserer Zeit als einer vielgestaltigen. Und gerade, wenn man das in unserer
Zeit so geforderte biologische Denken anwendet, müßte, wie immer, die hochgesteigerte, in generationen*
langer Arbeit hochgezüchtete reife Daseinsform als die wertvollste, als signaturgebend bezeichnet werden.

So läßt sich rückblickend ein allen Stilbildungstheorien gemeinsamer geistiger Habitus unschwer
feststellen. Einmal die Anwendung der diskursiven Denkform auf ein ihr wesensfremdes Gebiet,
das Gebiet des Intuitiven: der Kunst; dann die Proklamierung einer gerade aktuellen außerkünstleri*
sehen Idee zum Angelpunkt der jeweils „neuen" Kunst. Im Klassizismus war es das „Moralische", in
der Romantik die schwärmerische Idee der Verschmelzung von Dorik und Gotik zu einer höheren
Einheit.bei Klenze die Idee einer „griechischen" Renaissance,bei Semper der Gedanke der Zweckform,
im Maximiliansstil die vier vorgenannten Ideen zusammen, im Jugendstil: Das „Neue" schlechthin,
eine Idee würdig eines Reporters, und heute Begriffe wie die technische und die primitive Form, das
„Chaotische", die „Formzertrümmerung" und vor allem die „Gesinnung" und der „Sinn". Auch „die
keuscheste Gestaltung des Zweckes", „die Vereinigung größtmöglicher Typisierung mit größtmög*
licher Variabilität". Gemeinsam ist all diesen Theorien das Bewußte und Abstrakte, das Absehen
von der „Anschauung", das Schweigen über die eigentlichen Probleme der künstlerischen Gestaltung
wie der handwerklichen Ausführung. Und gemeinsam ist ihnen bisher das klägliche Fiasko gewesen
— zahlreiche nur zeichnerische Entwürfe des Klassizismus gehören durchaus hieher —, das immer not*
wendig dann eintritt, wenn etwas mit untauglichen Mitteln versucht wird. Hans Kiener.

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