Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 75.1925

DOI Artikel:
Wolf, Georg Jacob: Der Wandel der Raumkunst im letzten Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0097
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ADOLF VON MAYRHOFER.

Silberne Terrine.

dert Jahren hat man aus der Not eine Tugend zu machen verstanden. Nicht aus bewußter raffinierter
Überlegung, sondern mit der Selbstverständlichkeit des Takts und des guten Geschmacks. Damals, als
man eben so arm war wie heute, hat man im Gegensatz zu der überreichen, spielerisclvgraziösen und
allzu großer Lebenslust die Folie bildenden Rokokogestaltung die Nutzform des Möbels geschaffen,
die man mit hoher Selbstverständlichkeit vom Gebrauchszweck ableitete. Eine gewisse Steifheit der
Formgebung, die Sparsamkeit der Profilierung und die geringen Ausladungen der einzelnen Stücke,
sowie das fast gänzliche Fehlen von dekorativem Beiwerk charakterisieren treffend das Wesen der
Zeit und ihrer nach den abenteuerlichen Trubeln der Revolution, der Kriege, des Enthusiasmus, des
wirtschaftlichen Niederganges zur Besinnung und Beschaulichkeit zurückkehrenden Menschen. Damit
harmoniert auch aufs vollkommenste die Helligkeit und Behaglichkeit der Biedermeierräume und ihrer
Ausstattungsstücke: es war die Konzentration auf das Herz, auf die Familie, auf das Haus, auf die
kleine Welt, die z. B. auch den damals entstandenen schönsten Bildern Moritz von Schwinds und
der Graphik Ludwig Richters ihre Eigenart, ihren Reiz gibt.

Mit Absicht wurde hier vom Biedermeier und seiner Raumkunst ausgegangen. Ein gründlicher
Kenner der heutigen Verhältnisse auf dem Gebiet der Raum* und Möbelgestaltung, Günther von
Pechmann, hat kürzlich in einem Vortrag, den er in Stuttgart vor einer Versammlung von Holzindu«
striellen hielt, u.a. ausgeführt: „Es darf kein Zweifel darüber bestehen, daß die Verarmung des tribut*
Pflichtigen deutschen Volkes auch in der Art seines Wohnens auf Jahrzehnte hinaus zum Ausdruck
kommen wird. Diese Armut ist ein Unglück für die Nation. Ein größeres Unglück aber würde dann
eintreten, wenn aus der Armut „Ärmlichkeit" würde. Denn Ärmlichkeit der häuslichen Umgebung
führt leicht zu Ärmlichkeit der Gesinnung, und wo diese einmal weiteren Schichten eines Volkes den
Sklavenstempel aufgedrückt hat, da ist eine Erneuerung und Erstarkung menschlicher und nationaler
Kräfte nicht zu hoffen. Es wird sich also darum handeln, die kleine, einfache und billig möblierte
Wohnung, in welcher die nächsten Generationen heranwachsen werden, so zu gestalten, daß Einfach«

95
 
Annotationen