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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 75.1925

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Aus dem Leben des Vereins typearticle
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https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0139
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Am Montag, 6. J uli fand im Kunstgewerbehaus eineöffent-
lieh e Tagung des Verband es deutsch erKunstgewerbe*
vereine statt. Prof. Behrens begrüßte die Vertreter der bayer.
Regierung, Staatssekretär Dr. Schmidt, Min.»Dir. Dr. Hendschel,
Min.-Rat Dr. Götz, Min.«Rat Dr. Keller, ferner Staatsrat Dr.
Wagner vom hessischen Staatsministerium, Schulrat Dozier des
Stadtrats München, Geheimrat Gautsch der Handelskammer, und
die Vertreter des Meßamts Leipzig Herrn von Laube und des Meß»
amts Frankfurt Herrn Baum. Der Redner dankte für die allseitige
freundliche Aufnahme, die die Tagung des Verbandes gefunden
hat, er beglückwünschte den Bayerischen Kunstgewerbeverein zu
seinem Feste und führte
weiterhin aus: In Mün-
chen, in Bayern ist immer
die alte solide hand werk»
liehe Tradition lebendig
geblieben. Anderwärts
in Deutschland liegt der
Schwerpunkt in der In»
dustrie, in Bayern im
guten Handwerk. Wir
stehen vor der Frage, ob
wir uns für dieses oder
für jene entscheiden soU
len. Wir benötigen so-
lide, gleichmäßig herge-
stellte Waren zu billigen
Preisen. Doch das Mas«
senerzeugnis befriedigt
uns innerlich nicht, das
kann nur das Qualitäts»
erzeugnis von seelischem
Inhalte, das nicht aus der
Maschine hervorgeht.
Aber die Industrie hat
dem Handwerk den Bo-
den abgebrochen. Heute
muß sich die handwerk-
liehe Qualität einstellen
auf das, was sich mit der
Maschine nicht anferti-
gen läßt. Mechanik kann
man geschmackvoll be»
einflussen, aber Kunst
ist die eigenwillige Ein-

gebung in persönlicher Vollendung. Der Künstler denkt und schafft
im Material. Nach dieser Richtung hin einzuwirken auf das indu»
strielle und auf das handwerkliche Erzeugnis, ist Aufgabe der
Kunstgewerbevereine. Damit begründen wir deutsche Qualität
in deutschem Lande.

Hierauf eröffnete Geheimrat Prof. Dr. Theodor Fischer die
Reihe der Referate und sprach über „Zeit und Erziehungsfragen".
Das vorige Jahrhundert hat uns die Köpfe umgedreht, wir haben
angefangen, Kunst auf der Schule zu lehren. Es ist der größte
Irrtum des vorigen Jahrhunderts gewesen, daß es Begriff und Me»
thode der Schule auf die Kunst angewandt hat. Man vergaß, daß
das Erlernen einer Kunst nicht im Sammeln von Kenntnissen,
sondern von Erfahrungen beruht. Wir treiben in unseren Kunst»
gewerbeschulen eine Vergeudung von Kräften, indem wir Hun»
derte von Entwerfern züchten anstelle von solchen, die in der
Werkstatt schaffen. Wir müssen unsere Kunstgewerbeschulen
umwandeln in produktive Lehranstalten. Vielleicht empfiehlt es

DÜLL UND PEZOLD

sich, die Schulen für freie Künste zusammenzulegen mit den Kunst»
gewerbeschulen. Jedenfalls wird die Umwandlung einer Kunst»
gewerbeschule zu einer produktiven Lehranstalt um so leichter zu
bewirken sein, je blühender die Schule dasteht. Die Fachvereine
müssen in stärkster Weise zur Mitarbeit herangezogen werden, die
Staatsgewalt aber die Leitung in der Hand behalten. Heraus aus
der Schule in die Arbeit! Nur Arbeit kann uns retten. Sie wird
Früchte tragen bis ins tausendste Glied.

Es folgte Architekt Dipl.»Ing. Meerwaldt (Karlsruhe) mit
Ausführungen über „die Aufgaben der Kunstgewerbe-
verei ne in derWert arbei ts be wegung ", worin er eine Reihe

aus der Praxis gewon»
nene Anregungen und
Fingerzeige über die Art
brachte wie die Kunst-
gewerbevereine die Er-
haltung guter Hand-
werkskunst und die För-
derung der Wertarbeit
wirksam betreiben kön-
nen und aufzeigte wo die
Schwerpunkte ihrer Be-
tätigung liegen müssen.

Dr. K i e n e r (Mün-
chen) behande!te„Tra»
dition und Origi-
nalitäf im Kunst-
schaffen und ging dabei
von einem geschichtlichen
Rückblick auf Stilent-
wicklungsvorgänge in
alter Zeit aus. Allezeit
ist die Entwicklung or-
ganisch vor sich gegan-
gen, das Reich der Tra-
dition hat sich stets als
die Grundlage der op-
tischen Gestaltung er-
wiesen, wogegen geniale
Originalität als schöpfe»
risches Element im Ein-
zelfalle auftrat. Durch-
löcherung des Überlie-
ferten allein und ratio-
nalistische Forcierung
haben, wo sie sich gegen die organische Entwicklung versündigten
zu Mißerfolgen geführt. Wirkliche Originalität ist durch dieTradi-
tion nie gehemmt, sie ist durch ihre Gesetze nur gefördert worden.

Mit Wirtschaftsfragen befaßte sich ein Vortrag von Hof-
juwelier F. R. Wilm (Berlin), der besonders die schweren Schäden
aufwies, welche die sog. „Luxus-Steuer" dem Kunstgewerbe und
jeder Wertarbeit bringt.

Schließlich sprach Dr. Günther Frhr. von Pechmann über
Bauwesen und Gewerbekunst.

Unser Wohnungswesen liegt noch sehr stark im Argen. Tau-
sende und Abertausende wohnen in ganz unzulänglichen Behau-
sungen. Die Gesamtheit muß eingreifen, um dieser Wohnungsnot
zu steuern und dazu sind vor allem Organisationen berufen wie
der Verband Deutscher Kunstgewerbevereine und der Werkbund.
Sie müssen die intensive Behandlung der Wohnungsfrage in ihr
Programm aufnehmen und fordern, daß aus öffentlichen Mitteln
nur dann etwas für die Wohnungsfrage geschieht, wenn gleich»

Festschmuck im Odeon

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