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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Meyer, Alfred Gotthold: Die dritte Münchener Jahresausstellung, [2]
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Die dritte Münchener Jahresausstellung.

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Sinne ist auch die kleinere Interieur- und Charakter-
studie aus dem Fischerleben. Der Poet aber kam
am eindringlichsten in der melancholischen Parkland-
schaft aus St. Cloud zum Wort, wo die kopflose
Statue und der verwahrloste Brunnen mit dem Herbst-
wind Zwiesprache tauschen. — Am seltsamsten mutete
uns in diesem englischen Saal, wo man sonst meist
den aristokratischen Erscheinungen der oberen Zehn-
tausend begegnete, Dudley Hardy's schon bekanntes
Kolossalgemälde „Obdachlos" an. Ein grauener-
regendes Bild, diese verkommenen Gestalten, wahre
Charaktertypen modernen Elends, die, von physischer
Ohnmacht bezwungen, hier in Straßenschmutz und
Nebel zu Füßen des Sphinxkolosses liegen — ein
furchtbarer Anblick, wie er in Wirklichkeit wohl
nur wenigen unter den Beschauern zu teil wird —
und dennoch ein alltäglicher! Es ist ein soziales
Tendenzstück, fruchtbar aber wird es nur für den
Maler, der in der Beleuchtung und in der Wieder-
gabe der ganz ungewöhnlichen Stellungen Beob-
achtungstalent und technisches Können in unge-
wöhnlichem Grade entfaltet hat. Dass er seine Fähig-
keiten, insbesondere seine Begabung für das Gebiet
der koloristischen Stimmungsmalerei, auch im Dienst
anziehender Stoffe bewährt, zeigte am besten die
kleine virtuose Interieurstudie: „Träumen". Beiläufig
sei hier hervorgehoben, dass die Bilder, welche das
alte Lied vom Leiden variiren — ich nenne nur die
Arbeiten von Leo von Aken, H. A. Brendekilde, J.
Becker- Gundahl, H. 0. von Saß und Karl Wibmer —
auch in diesem Jahre selten blieben.

An reizlosen Freilichtstudien mit anspruchs-
vollem Titel fehlte es freilich nicht gänzlich —
man denke beispielsweise an Heinz Heims „Pfründner-
wahl". Das beste Gegengewicht boten hier meist
die Italiener, aber dasselbe wirkte durch stete Wieder-
holung der gleichen, eben mir erfreulichen Stoffe,
Farben und Gestalten allgemach ermüdend. Die
liebenswürdigen, aber süßlichen Bilder Vinea's, An-
dreotti's und Ghierici's verschwanden in diesem Jahr
neben den interessanten Vertretern der „neuen Schule",
die besonders aus der Mailänder Ausstellung jetzt
in den Müncheuer Salon übergesiedelt waren. Am
selbständigsten trat zweifellos Giovanni Segantini
auf, nicht nur in seiner eigenartigen Technik —
eine harte, strichelnde Malweise, die etwas an Bonnat
gemahnt — sondern auch in seiner Auffassung der
erwählten Stoffe. Seine vier in München ausge-
stellten Bilder — „Die Mutter", „Die Hirtin", „Die
Spinnerin", vor allem aber das Gemälde „Ein Rosen-
blatt" — erscheinen wie Momentaufnahmen, aber

sie sind sehr wohl durchdacht und „komponiert"
und völlig individuell. In der Technik kommt ihm
Cairati am nächsten, in der künstlerischen Eigenart
jedoch A. Fcragutti, dessen großes Arbeiterbild dem
Gemälde Dudley-Hardys ein kerngesundes soziales
Tendenzstück gegenüberstellt. Demselben Künstler
und seinem Landsmann Rietti dankte die Ausstellung
zwei ihrer besten Frauen porträts. Wenn man sich
an den Herolden italienischer Frauenschönheit bei
uns ein wenig satt gesehen hat, so birgt die italie-
nische Landschaft Jahr für Jahr den gleichen ewig
neuen Zauber. Und die Italiener wissen ihn in der
That auch mit stets neuer Liebe und weit abwech-
selungsreicher als die weiblichen Reize wiederzu-
geben. Das bezeugten denn auch in München die
Bilder eines Bazzaro, Belloni, Bezzi, Ciardi, Fragia-
como, Filipp'ini, Gignous, Gola, Rossi, Tommasi, Za-
netti, Zexxoa glänzend. — Des stofflich Neuen bot
die italienische Abteilung nur wenig. Der junge
Giulio Aristide Sartorio, der im vorigen Jahr in der
Riesenleinwand „Die Söhne Kains" ein Achtung ge-
bietendes Wollen bei freilich noch ungeschultem
Können bekundete, hatte diesmal ein bescheidenes
aber auch besser durchgeführtes Werk ausgestellt,
ein „Bacchanal" mit reiz- und temperamentvollen
antiken Gestalten. Laurenti'a „Parzen" sind jeden-
falls weit origineller und kraftvoller als ihre formen-
schönen Rivalen unseres Paul Thumann, während
Ganconi's Märchenbild Anmut und Idealismus der
englischen „Praeraffaeliten" teilt. Glückliche Mo-
tive aus dem realen Leben behandelten Carcano,
Tito und de Stefani, Carcano die tragikomische Auf-
regung, in welche wackere Bauern durch einen
fallenden Luftballon versetzt werden — er nannte
sein Bild „Fortschritt und Unwissenheit" — Tito
eine ernsthaft-tragische „alte Geschichte", einen Ehe-
zwist, de Stefani eine Gerichtsscene. — Wie in der
Landschaft, so sind die Italiener auch im Genre am
anziehendsten, wenn sie echt und rein national
bleiben. So köstliche Genrestücke, wie sie der Ber-
liner Ausstellung aus der Königlichen Galerie zu
Monza in den Werken Paolo Michetli's übersandt
worden waren, besaß der Münchener Salon freilich
nicht, aber die liebenswürdigen und trefflich ge-
malten Bilder Müesi's, Dali' Occa Bianca und Pio
Joris vertraten auch diese Gattung in hervorragen-
der Weise. —

Wie ich bereits eingangs hervorhob, hatten
auch die Spanier ihr Bestes nach Berlin gesandt.
Ich habe hierbei weniger die umfangreichen Histo-
rienbilder im Sinn, deren auch München an den
 
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