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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Meyer, Alfred Gotthold: Die dritte Münchener Jahresausstellung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0034

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Die dritte München er Jahresausstellung.

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in Kopenhagen" über das Niveau eines nach Einzel-
photographien zusammengestellten Gruppenbildes zu
erheben. Die einzelnen Figuren — nicht nur ge-
feierte Namen der französischen Malerei, sondern
auch interessante und malerische Köpfe! — posiren
nicht, sondern sind zwanglos zu einander in Be-
ziehung gesetzt, wie in den besten holländischen Re-
gentenstücken. In ähnlicher Weise, freilich mit
dramatischer Zuspitzung, hat der Belgier Henry Luyten
die gleiche Aufgabe — „Eine Antwerpener Künstler-
versammlung" — auf seinem Berliner Bilde be-
handelt. — Aber nicht nur der sinnfällige Ausdruck
geistiger Teilnahme am gleichen Gegenstand ver-
bindet diese zahlreichen Einzelporträts zu einer in
sich geschlossenen Gruppe, sondern vor allem auch
die einheitliche malerische Haltung. Wie Kroyer
auf seiner in Berlin befindlichen „Musikalischen
Soiree" die reiche Kerzenbeleuchtung eines kleinen,
von vielen Menschen gefüllten Raumes ganz meister-
haft wiedergab, so hier das durch grüne Schirme
abgeblendete Licht zweier niedriger Lampen. Ganz
mustergültig ist dies studirt, und gleich muster-
gültig ist die Plastik der einzelnen Gestalten! Die
letztere giebt auch der inhaltlich weniger reizvollen
„Soiree in der Glyptothek von Ny Karlsberg" Bedeu-
tung. — Weit anspruchsloser und weniger modern
ist Sundt-Hansen's Gemälde „Leichenfeier an Bord",
ein ernstes, äußerst sorgfältig durchgearbeitetes Sitten-
bild; gleichfalls anspruchslos in der Farbe, aber um
so prächtiger in der Charakteristik jeder einzelnen
Figur sind die Genrestücke von Axel Hclstedt. Auch
ihr Stoff — „Das Wartezimmer eines Arztes", und
die „Vorlesung eines jungen Landgeistlichen vor
einem Damenzirkel" — ist ungemein glücklich. Be-
sonders das letztgenannte Bild zeigte bei allem schein-
baren Ernst, mit dem die hausbackene Würde der
mehr oder minder ältlichen Zuhörerinnen geschildert
ist, dass dem Künstler der Schalk im Nacken sitzt. —
Ungewöhnlich reich an berühmten Namen und
an guten Bildern war die Abteilung der Belgier.
Ihr dankte die Ausstellung ihre hervorragendste
Landschaft — Courtens großes Gemälde „Der goldne
Regen'' — die besten Tierstücke — Arbeiten von Hen-
riette Ronner. Kornel van Leemputten, Charles van
den Eykcn — und auf den inhaltlich so anspruchs-
losen Bildern von Leon Brunin: „Der Retoucheur"
und „In der Garderobe" die glänzendste Stoffmalerei.
— Courtens ist als Maler sicherlich ganz modern.
In der Nähe gesehen zeigen seine Gemälde ein un-
verständliches Farbenmosaik, oder besser — Relief,
denn die Farben sind unvertrieben und zum Teil

mit dem Spatel so stark aufgetragen, dass sie auf
der Fläche merkliche Erhöhungen bilden. In der
Gesamtwirkung aber birgt diese scheinbar so derbe
Mache den Reiz der feinsten Stimmungsmalerei und
gleichzeitig eine bei modernen Landschaftern selten
gewordene Größe und Kraft der Auffassung. Schon
das winzige Bildchen „Ex voto" bezeugt dies. Auf
kahlem Hügel zwischen zwei Bäumen ein einsames
Kruzifix — aber wie saust der Wind an dieser
Stätte, und welch' eigenartige Melancholie ruht auf
dem Ganzen! Auch sonst herrscht diese Stimmung
vor. Das Seestück „Die Nacht" zeigt nur tiefdunkle,
dem Beschauer entgegenrollende Wellen, über deren
Kämme der Mond einen fahlen Schimmer breitet.
Drei andere Bilder heißen: „Sturm", „Regenwetter",
„Herbst". Auch jenes Hauptstück ist eine Herbst-
landschaft, diesmal aber ohne Schwermut: fröhlich
blickt der Himmel durch die Baumkronen, die ihren
Schmuck langsam im „goldnen Regen" zur Erde
herabsenden. Die Hauptaufgabe des Künstlers war
hier eine ähnliche, wie sie sich im Vorjahr Paul
Höcker auf seinem an gleicher Stelle befindlichen
Gemälde „Die Nonne" gestellt hatte: Ausblick auf
einen breiten Pfad, der sich in gerader Richtung vor
dem vor der Mitte der Bildfiäche stehenden Beschauer
öffnet; Ausblick auf sein scheinbares Ende in duf-
tiger Ferne; reiche Schlaglichter bei einheitlicher
koloristischer Stimmung. — Bei Höcker war es
Sommersonnenlicht, welches das Blattgrün bläulich
färbte, bei Courtens vergoldet die Herbstsonne Laub,
Stämme und Pfad; bei Höcker fand die landschaft-
liche Stimmung in einem einsam träumenden Men-
schenkind Widerhall; Courtens schildert die Natur
ohne Staffage, bleibt darum aber nicht minder wir-
kungsvoll. — Die Belgier hatten auch sonst gute
Landschaften gesandt, ich nenne nur die zahlreichen
Skizzen von De Haas und die Seestücke von Adrien
Le Mayeur und Paul-Jean Clays, Courtens aber bleibt
unerreicht. — Die belgische Historienmalerei klas-
sischen Stiles fehlte diesmal: de Vriendts sehr sorg-
sam studirtes Genre- und Kostümbild: „Unterhal-
tung der Prinzessin" repräsentirte sie doch nur
unzureichend. Um so schärfer zeigt sich der Rea-
lismus der jüngsten belgischen Schule in Henry
Luytens großem Gemälde: „Der Streik". Es hing
am gleichen Ort, wo im vorigen Jahre Alfred Poll
das Martyrium, aber zugleich die imponirende Schaf-
fenskraft moderner „Massenarbeit" vor Augen führte.
Nicht minder beredt schilderte Luyten diesmal das
letzte, furchtbarste Ergebnis jenes Martyriums, die
| gleiche Kraft, irre geleitet und zu zerstörender Ge-
 
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