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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Vom Christmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0076

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139

Vom Christmarkt.

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der stellt sich für den Zeichner das Umgekehrte
heraus: die Widerspiegelung des Menschlichen im
Tiergesichte. Um dies hervortreten zu lassen, be-
darf es keiner Übertreibung, es braucht nur ge-
zeigt und in die richtige Umgebung gerückt zu
werden. Ein auf- oder abwärts gezogener Mund-
winkel, ein gerümpftes Naschen, eine andere Stel-
lung der Augensterne wirkt hier genau so wie im
Menschenantlitz. Lässt aber ein Künstler, wie F.
Flinzer in der Tierschule^), seine Geschöpfe dazu noch
aufrecht wandeln und hüllt sie in menschliche Trach-
ten, so erscheint auch das Tier der niedrigsten Stufe
als vernunftbegabtes Spiegelbild Seiner menschlichen
Hoheit, und der zu Tage tretende Gegensatz be-
lustigt jung und alt immer von neuem. Das Gelingen
hängt freilich vom Kennerblicke unseres Künstlers ab,
der Tier- und Menschenphysiognomie richtig gegen-
überstellt und das Tugendsame und Nichtssagende,
das Lüsterne und Heim-
tückische, das Furchtsame
und Zornige der tierischen
Gebärde geschickt zu ver-
werten weiß. In der Ver-
teilung der Rollen, sowie
in der Häufung der Ge-
gensätze hat Flinzer im
Rahmen seines Themas
und in den Grenzen seiner
Eigenart hier das denk-
bar Beste geleistet. Wir
verstehen seine Absicht
auf den ersten Blick und

wir übersetzen die Gebärden des schulpflichtigen,,Grau-
chens" und „Ferkelchens" ohne Zaudern ins Mensch-
liche und möchten die fidelen Bürschchen und die
„höhere Tochter" im Vordergrunde des großen zwei-
seitigen Bildes „Die Schule ist aus" in bekannte Ge-
sichter umdeuten. Wie lüstern und doch noch im
Kampfe mit sich selbst steht Murners Miezchen vor
der freundlich zuredenden Hökerin, der alten Schleier-
eule; wie tugendstolz legt Blenheims Phöbe ihre
von Einsen strotzende Censur uns vor; wie behag-
lich schenkt sich Rittergutsbesitzer Ochs sein Gläs-
chen voll, und neben ihm, wie schmachtend und
sich selbst genug die „aufgedonnerte" Frau Schaf!
Dass Flinzer die meisten seiner Physiognomien der
Natur abgelauscht hat, zeigen am besten seine bei-
den Skizzenbücher2), die auf etwa 50 Blättern eine

Vignette aus dem Werke: Im Zauber der Dichtung.
(Verlag des Universums.)

1) Breslau, Wiskott, geb. M. 5.

2) Breslau, Wiskott, geb. je M. 2,50.

Fülle von Tierstudien enthalten. Die Skizzen bieten
nicht nur einen interessanten Einblick in die Werk-
statt des Künstlers, sondern eignen sich auch prächtig
zu Vorlagen für unsere zeichnenden Knaben. So
vergnüglich sich diese Tiermaskerade auch ansieht,
der Zug des Gemachten und Unnatürlichen lässt
sich daraus nie ganz verbannen. Zum täglichen Be-
gleiter wählen wir für unser Kind am liebsten ein
Buch, das namentlich das Gemütvoll-Trauliche im
Umgange mit allem, was in der Natur lebt und
webt, glücklich hervorzuheben weiß. Diesem Wunsche
kommt ./. A. G. Lohr in seinen Erzählungen für Meine
Kinder ') entgegen. Über ein halbes Hundert kurzer
freundlicher Geschichten und Gedichte haben ihren
Bilderschmuck 0. Fletsch und E. Klinisch zu ver-
danken; von letzterem rühren auch die sechs farben-
frohen ganzseitigen Bilder und die geschmackvolle
Zeichnung der Einbanddecke her. Den ganz Kleinen

bringt W. Claudius in
seinen Goldenen Feimen
für die Kinderstube'1) ein
unzerreißbares Bilder-
buch mit zwölf Tafeln,
auf denen das „Eia po-
peia", „Fuchs, du hast die
Gans gestohlen", „Backe
backe Kuchen" und die
anderen guten alten Kin-
derreime von ganz beson-
ders anmutigen Aqua-
rellen dem Kindesauge er-
läutert werden. DemFinale
harmlosen Singsangs aus fröhlichem Kindermunde ant-
wortet zum Schluss noch ein heller Fanfarenton von
kriegerisch festlicher Stimmung. F. v. Koppen ist es,
der sich in seinem Buche „In des Königs Kock"3) an
unser junges Deutschland wendet. Die Vignette der
ersten Seite, auf der sich die Pickelhaube über Odyssee
und Tusculanen stülpt, deutet auf den künftigen Stu-
denten hin. Das Buch will ihm vor allem die spä-
teren Soldatenpfiichten erleichtern helfen, indem es
ihn in schonender und humorvoller Weise in die
Obliegenheiten des Dienstes einführt und ihm in be-
geisterndem Tone die Pflichten gegen das Vater-
land ans Herz legt. F. v. Knötels Aquarelle sind
frische Studien und Skizzen, welche das Soldaten-
leben in seinen Licht- und Schattenseiten auf das
getreueste kopiren. L.

1) Stuttg. u. Leipzig, Effenberger (Lowes Verlag), geb. M.4.

2) Effenberger (Lowes Verlag), geb. M. 3.

3) Leipzig, Meißner & Buch, geb. M. 6.
 
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