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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Rosenberg, Adolf: Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0112

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Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie.

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aus, und Stauffer begann den Versuch, aus seiner Phan-
tasie zu schöpfen. Von da ab fängt eigentlich erst
der Kampf in seinem Leben an. Er wollte Schö-
pfungen von hoher idealer Erfindung zu stände
bringen, und als er ans Werk ging, fehlte es an
allen Ecken und Enden, zunächst am Kolorit. Er
versuchte es zuerst mit einem weiblichen Akt,
einer auf einem Teppich gelagerten, nackten Figur.
Aber alle Bemühungen, Farbe und Leben in die
Figur hineinzubringen, blieben erfolglos. Er mag
wohl an seinem Farbensinn verzweifelt haben, hatte
aber bei seinen Naturstudien so viel Zuversicht zu
der Kraft seiner Zeichnung gewonnen, dass er den
Beschluss fasste, sich in der Radirung und im Ku-
pferstich zu versuchen, wobei ihm sein Münchener
Freund P. Halm behilflich war. Auch hat der Ein-
fluss seines Freundes M. Klinger dazu gewirkt, ihn
auf dieses Gebiet zu führen, dessen technische Seite
er bald mit großer Meisterschaft beherrschen lernte,
wobei er, wie Klinger, die Radirnadel mit dem Grab-
stichel verband. Ihrem Inhalte nach bewegten sich
seine graphischen Arbeiten in demselben Kreise, wie
seine Gemälde und Zeichnungen: Bildnisse, meistens
Köpfe, von denen die Adolf Menzels, Gottfried
Kellers, C. F. Meyers, Gustav Freytags, den er auch
in Ol für die Nationalgalerie, farbiger als sonst und
mit hellem Hintergrunde gemalt hat, und seiner
Schwester die hervorragendsten sind, dann männ-
liche und weibliche Aktstudien in verschiedenen Stel-
lungen. Aus derselben Absicht, völlig Herr über
die Form zu werden, ist auch eines seiner letzten
Ölgemälde, die lebensgroße Figur eines nackt an
das Kreuz geschlagenen jungen Mannes (1887), ent-
standen.

Der materielle Erfolg, den er von seinen Por-
trätradirungen erwartete, wollte sich in dem gehoff-
ten Maße nicht einstellen, vielleicht weil seine Plat-
ten bei der Feinheit und dem komplizirten Raffine-
ment seiner Technik nicht diejenige Zahl von Ver-
vielfältigungen vertrugen, die eine wesentliche Be-
dingung eines größeren Ertrags ist. Abermals in
seinen Hoffnungen getäuscht und mit Sorgen um
seine Existenz belastet, verließ er Berlin, um sich
gleich seinem Freunde Klinger und dem Radirer
E. M. Geyger in Rom der Bildhauerkunst zu wid-
men, in der er nun endlich seinen wahren Beruf er-
kannt zu haben glaubte, weil ihm nicht die Farbe,
sondern die Form als das richtige Ausdrucksmittel
seiner Stimmungen erschien. Zu einer gedeihlichen
Entwicklung auf diesem neuen Kunstgebiete gelangte
er wiederum nicht, zum Teil, weil eine verhängnis-

volle Leidenschaft für eine verheiratete, in der vor-
nehmen Gesellschaft von Bern und Zürich wohlbe-
kannte Frau seine Thätigkeit lähmte. Einmal machte
er in Bern einen Selbstmordversuch, trug aber nur
eine schwere Verwundung davon. Dann ging er
nach Florenz, um unter dem Beistand A. Hilde-
brands sich von neuem seinen plastischen Arbeiten
zu widmen. Er beteiligte sich auch an einer Kon-
kurrenz um ein Denkmal für den Schweizer Natio-
nalhelden Bubenberg, erzielte aber keinen Erfolg, und
diese Enttäuschung soll ihm den letzten Lebensmut
geraubt haben, so dass er sich am 24. Januar 1891
selbst den Tod gab. Auch die Dame, die das Ver-
hängnis seines Lebens geworden, hat vor einigen
Wochen durch Selbstmord geendet.

Im Gegensatz zu dieser Tragödie von Leiden-
schaft und Schuld ist das Leben Oskar Wisnieskis
wie eine Idylle verflossen. Bei seinem Vater, einem
Kupferstecher, lernte er von früher Jugend an Zeich-
nen und Radiren, besuchte dann vier Jahre lang
die Berliner Akademie, ohne sich an einen Lehrer
enger anzuschließen, und verließ nur Berlin, um Stu-
dienreisen in Nord- und Süddeutschland zu machen.
In seiner Kunst lassen sich zwei charakteristisch
hervortretende Züge unterscheiden: in seinen Zeich-
nungen, Radirungen, Lithographien und Buchillu-
strationen ist der Einfluss Menzels ersichtlich, dem
er einmal auch in einem seiner letzten Ölgemälde
„Die letzte Ehre", dem Begräbnis eines Generals aus
der Zeit Friedrich Wilhelms I., sehr nahe gekom-
men ist, und eine Gruppe seiner Ölgemälde, die
seine liebenswürdigsten und zugleich reifsten Schö-
pfungen darstellen, lässt ein eingehendes Studium
von Watteau und Lancret erkennen, die Wisnieski
durch größere Tiefe der Charakteristik zu übertref-
fen wusste. Auch darin begegnete er sich mit
Menzel, dass er nicht müde wurde, für seine Roko-
kobilder und seine militärischen Darstellungen aus
dem vorigen Jahrhundert und aus neuerer Zeit flei-
ßige Detailstudien (Interieurs, Möbel, Kostüme und
dergleichen mehr) zu machen. Die Ausstellung seiner
Werke umfasst 550 Nummern, die ihn mit allen
Gattungen der malerischen und zeichnerischen Technik
vertraut zeigen. Unablässig nach Vervollkommnung
strebend, wusste er seiner Öltechnik eine immer grö-
ßere Geschmeidigkeit zu geben, und seine letzten
Gemälde waren so reich mit Luft und Sonne erfüllt,
dass die Bilder des Siebzigjährigen neben den Er-
zeugnissen der modernen Hellmalerei bestanden.

ADOLF ROSEN BERG.
 
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