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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Haendcke, Berthold: Hans Holbeins D. J. sogenanntes Selbstbildnis in Basel
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0176

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Hans Holbeins d. j. sogenanntes Selbstbildnis in Basel.

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die Stirnknochen weit auseinander. Die Stirn ist
breit. Auf dem Bilde in Basel ist die Stirnbildung
eine schmälere und spitzere. Nehmen wir selbst an,
dass das Licht auf dem Florentiner Bilde, wie auf
dem Baseler, weiter nach links gelegt worden wäre,
so würde die Formation der Stirn auf dem ersteren
sich wohl ein wenig der des letzteren nähern, aber
ihr niemals gleichkommen können. Der Jochbogen
tritt auf dem Kinderbildnis, wie auf dem in Florenz
weit stärker heraus, ebenso der obere und untere
Jochbeinmuskel. Ferner, um bei der Wangenbil-
dung zu bleiben, ist der Aufheber der Oberlippe
und des Nasenflügels, sowie der Zusammenpresser
der Nase auf dem Florentiner Bildnisse sehr ener-
gisch ausgebildet. Diese Muskeln können zwar
durch eine spätere Fettpolsterung schärfer hervor-
treten, müssen aber von Anfang an ohne jeden Zweifel
stärker ausgeprägt gewesen sein, als sie auf dem
Antlitze des Mannes, den das Baseler Bildnis zeigt,
zu sehen sind. Hier sehen wir einen nur wenig
hervortretenden Backenknochen, der Schläfenmuskel
ist so gut wie gar nicht bemerkbar und die unteren dort
durch das energische Zusammenpressen des Mundes
ausgearbeiteten Backenmuskeln treten hier ebenfalls
nur sehr wenig zu Tage. Genug, wir haben eine ganz
flache Wange, wie sie Holbein nach dem Floren-
tiner Bildnis zu schließen, aus rein anatomischen
Gründen niemals besessen haben kann. Anerkennen
wir auch die Verwischung in der Zeichnung des
Unterkieferknochens auf dem Baseler Porträt, so
können wir, im Einklänge mit der Bildung der Kau-
muskeln etc., dennoch eine viel breitere Ausladung
der Kinnlade auf dem Augsburger und Florentiner
Bildnisse konstatiren, als auf dem Baseler.

Beobachten wir den dritten Punkt, an dem be-
kanntlich das Skelett im Kopfe fast unverhüllt her-
austritt: die Nase, so ist ebenfalls eine äußerst auf-
fallende Differenz zwischen dem Bildnisse des Kna-
ben, des jungen und des gereiften Mannes festzu-
stellen, die aber ohne weitere Widerrede nicht auf
den Altersunterschied, sondern auf den verschie-
denen Knochenbau zurückzuführen ist.

Auf dem Augsburger und Florentiner Bildnisse
erblicken wir eine kurze breite, am Knorpelansatz
etwas eingesenkte Nase, die an der Spitze breit aus-
läuft', deren Erhebung keine sehr hohe ist, deren
Nasenloch kurz, deren Flügel stark auf- und ein-
gezogen und auf der endlich die Merkfalte entschie-
den ausgeprägt ist. Und zwar, ich wiederhole es,
sowohl auf dem Kinderbildnisse, als auch auf dem des
45jährigen Mannes. Auf dem Baseler Bilde ist da-

gegen eine schmale, lange und ziemlich spitz zulau-
fende Nase mit einer leichten Erhöhung in der Mitte
gezeichnet. Die Nasenspitze senkt sich weiter nach
vorne, das Nasenloch ist länger und gleichmäßiger,
der Nasenflügel ist flach und die Nasenhöhe ist ver-
tikal eine beträchtlichere. Die ganze Nase stimmt
in keiner Einzelheit mit der auf den verbürgten
Bildnissen Holbeins überein, weder mit dem des
Knabens, noch mit dem des Mannes. Denn auch
die Merkfalte, die dem vierzehnjährigen Jungen be-
reits einen sinnigen Ausdruck verleiht, mangelt.

Die Bildung des Auges ist ferner eine verschie-
dene. Die Augenbrauen auf den Augsburger und
Florentiner Porträts gehen von der Nasenwurzel in
einen spitzen Winkel empor, um dann in der Mitte
auflallend aufgezogen zu werden und scharf abzu-
fallen. Der Augendeckel deckt das Auge in der
Mitte und das untere Lid ist unten rechts resp. links
weit ausgezogen. Auf dem Baseler Bilde hingegen
legen sich die Falten des Augendeckels in der Mitte
gerade und decken außen, das untere Lid ist in der
Mitte eingesattelt und läuft dann spitz aus, d. h.
Augenschnitt, Augenfalten und Augenbraue sind
total anders gebildet.

Am auffallendsten ist die Bildung des Mundes.
Aber in diesem Falle müssen wir sehr vorsichtig
sein; denn die Pressung der Lippen kann gar zu
leicht die Formation des Mundes verändern. Im-
merhin sind namentlich im Zusammenhange mit
den bisher beobachteten Verschiedenheiten die Unter-
schiede zwischen dem Baseler Bilde einerseits und
zwischen denen zu Berlin und Florenz andererseits so be-
zeichnende, dass wir sie unter Beobachtung jener Klau-
sel trotzdem zur Beweisführung heranziehen dürfen.

Die Oberlippe auf den letzteren Porträts ist auf
den beiden Seiten lang, schmal und spitz zulaufend,
in der Mitte ist sie — auf dem Kinderbildnisse kaum
sichtbar — wie eingeschnitten. Die Unterlippe hängt
in der Mitte und läuft dann ebenfalls lang und
spitz in den Mundwinkel aus.

Das Baseler Bild weist dagegen einen kleineren
Mund mit kürzer geschnittenen Lippen auf; die Unter-
lippe ist weniger voll und hängt nicht.

Das Kinn endlich ist auf den Augsburger und
Florentiner Bildnissen ein auffallend kurzes und
weniger vorstehendes, als auf dem zu Basel.

Nehmen wir auch an, und wir müssen es, wie
bereits gesagt, dass sämtliche Porträts nicht intakt
sind, so bleiben dennoch so viele auf der Anatomie
des Kopfes beruhende Verschiedenheiten bestehen,
dass sie meiner Ansicht nach genügen, um das an-
 
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