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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

DOI Artikel:
Bosselt, Rudolf: Der Jahrhunderttaler und die Münzkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0042

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wir nicht den geringsten Begriff mehr. Die An-
sprüche, die wir heute an die intime Ähnlichkeit
stellen, an die uns die Photographie gewöhnt hat, können
unmöglich von dem Bildnis einer Münze befriedigt
werden. Dieser kleine Maßstab erfordert eine fast
maßlose Über-
treibung der
wichtigsten
Teile des Ge-
sichtes, des Au-
ges vor allen
Dingen. Wenn
wir die Photo-
graphie eines
reinen Profil-
bildes betrach-
ten, so werden
wir finden, daß
die Entfernung
von dem Punkt,
wo das Auge
aufhört, bis zum
Ohr das Drei-
bis Vierfache
der Flächenaus-
dehnung des
Auges beträgt.
Das Auge mit
seiner näheren
Umgebung
kürzt sich in
der Profilstel-
lung ja auf ein
Minimum zu-
sammen. Mit
diesen Verhält-
nissen kann
man natürlich
kein künstleri-
sches Münz-
bildnis machen.
Man betrachte
einmal Münzen
mit dem Bild-
nis Alexanders
des Großen,
welche Ausdeh-
nung dort der
Augenpartie,
welche Beto-
nung den Lip-
pen, dem Kinn gegeben ist. Man muß sich mit
einer Typiserung begnügen, mit einer summarischen
Ähnlichkeit; man darf nicht vor einer Übercharakte-
risierung zurückschrecken. <-
o Dann wird man verstehen, daß ein Künstler, um

diesen Extrakt aus einem Porträt zu holen, eines ge-
nauen Studiums des Kopfes nach dem Leben nicht
entraten kann, daß er nicht die Photographie, diesen
Krebsschaden aller Bildniskunst, zum Fundament
seiner Arbeit machen darf. □
n Ich las ein-
mal gelegent-
lich der Sitzun-
gen, die der
Landesherr ei-
nem österreich-
ischen Maler
gewährt hatte,
daß in der Regel
einem Künstler
nur 15 Minu-
ten Sitzung für
seine Arbeit
bewilligt wür-
den. Wäre es
so unerfüllbar,
für das Münz-
bildnis, das in
Millionen von
Exemplaren ge-
prägt wird und
in jedes, auch
des geringsten
Untertanen
Hände kommt,
einmal Stunden
zu bewilligen,
statt Minuten?
n Gewiß, eine
künstlerische
Münze zu schaf-
fen, wäre wich-
tiger zu unter-
nehmen , als
manches ande-
re, was heute
geschieht;
nichts würde
vielleicht un-
sere dazu be-
rufenen Künst-
ler mehr reizen,
als das — aber
nichts scheint
mir zurzeit auch
aussichtsloser.
□ Mit einer unerläßlichen Vorarbeit aber könnte be-
gonnen werden: mit dem immer wiederkehrenden
Verlangen völliger Umänderung der an die Münze
gerichteten Forderungen, einschließlich derjenigen,
die an das Bildnis gestellt werden. a


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