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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Behne, Adolf: Gedanken über Kunst und Zweck, dem Glashause gewidmet
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0012

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das Bewußtsein dieser mangelnden Liebe zu schmerzen.
Hinter affektreichen Erklärungen der Liebe steht zu-
meist, deutlich fühlbar, eine absolute Kälte. Leute,
die unehrlich nicht sein wollen, machen aus ihrer
Fremdheit eine Theorie: die Architektur, da sie einen
Zweck erfüllen muß, sei nicht »reine« Kunst. Kon-
sequent rubrizieren sie die Schöpfungen der Archi-
tektur unter den Begriff des Kunstgewerbes. Es ist
wohl der Gipfel toter Begriffsanbetung, das Straß-
burger Münster, weil es ja einen Zweck erfüllt, zu
Stühlen, Teelöffeln und Plakaten zu versetzen.

Die Vorstellung einer Zweckerfüllung als des ent-
scheidenden Wesenszuges für die Architektur führt
hübsch an der Nase herum. Neben der Folgerung, daß
also die Architektur keine Kunst sei, steht die andere,
die man uns eine Generation lang einpaukte: durch
treue Pflichterfüllung, und eigentlich nur durch sie,
werde die Architektur Kunst. Da wo die Architektur
an keinen Zweck sich binde, wo sie über den Dienst
des Zweckes hinausgreife und sozusagen selbstherrlich
werde, wirke sie bedenklich. — »Der Zweck heiligt
die Mittel«.

Was über solche technische Auffassung der Archi-
tektur hinausstrebte, erhielt eine gewisse Lebensmög-
lichkeit nur zugestanden, wenn es als provisorischer
Ausstellungsbau erschien. In einer Ausstellung mochte
schließlich so etwas wie Phantasie und »eigenwilliger«
Formenreichtum in die Höhe schießen — da fragte
man auch vor gewagten und zwecklosen Äußerungen
nicht weiter nach dem technisch-logischen Warum
und Wieso. Ein bißchen Extravaganz gehörte schließ-
lich zum Stil einer Ausstellung, zu der man ja auch
Karussels und Kulissen-Berglandschaften zuließ.

Das war selbstverständlich eine etwas zweifelhafte
Liberalität, wenn man kühnen Ausstellungsbauten ihre
Phantasie nachsah, weil in ihr der Vorbehalt lag:
Gott sei Dank, es handelt sich ja nur um Provi-
sorisches, und kein Mensch nimmt ja einen Aus-
stellungspavillon ganz ernst. Jedenfalls aber durfte
ein kühnes Architekturgebilde als Ausstellungsbau noch
am ehesten auf Freiheit der Entfaltung und auf Rein-
heit des Urteils hoffen.

Das Glashaus, das Bruno Taut vor anderthalb
Jahren für die Kölner Ausstellung des Deutschen
Werkbundes baute, konnte sich dieser Vorteile merk-
würdig wenig erfreuen. Es setzte die meisten Be-
sucher in nicht geringe Verlegenheit — und weshalb? —
Weil das Glashaus, was ihm scheinbar die allgemeinen
Sympathien hätte sichern müssen, einen Zweck hatte!

Glücklich hatte man sich dazu durchgerungen,
einen Ausstellungspavillon trotz fehlender Zweck-
gebundenheit geduldig als eine Möglichkeit hinzu-
nehmen — da kommt das Glashaus, steigert alle Frei-
heiten ins Phantastische, und das offenbar nicht etwa
aus Ulk, nicht in einer Künstlerlaune, sondern als ziel-
bewußte erste Probe auf ein Exempel. Mein Gott,
man kann doch wohl verlangen, daß die Dinge sauber
auseinandergehalten werden, daß sich der Ernst ernst
und vergnügt die Laune gibt. Aber ein »Glashaus«
bauen und dann deutlich merken lassen, daß man
etwas Seriöses im Schilde führt, das ist nicht statthaft.

Wer ließe sich gern an der Nase herumführen —
und noch dazu von einem Architekten? Wenn man
schon an der Nase herumgeführt werden soll, so muß
das im voraus gesagt werden. Im Irrgarten eines
Panoptikums läßt man sich das wohl gefallen. Da
steht es über der Tür und da zahlt man sein Entree
bewußt zu diesem Zwecke.

In Wirklichkeit war es gar nicht der Architekt,
sondern der Zweckbegriff, der die Teilnahmslosen und
Mißvergnügten an der Nase herumführte. (Nebenbei
bemerkt: hätte das Glashaus statt an der lauten
und staubigen Landstraße distanzierter und weniger
kahl gestanden, so wäre — auch für die Freunde
— seine Wirkung noch unvergleichlich köstlicher
gewesen.)

Am besten wäre es, man würfe den Zweckbegriff
überhaupt aus der Architekturbetrachtung hinaus; denn
er narrt den strengsten Logiker. Eine Brücke hat
einen praktischen Zweck. Einen praktischen Zweck
hat auch die Kathedrale: sie schützt den Andächtigen
vor Regen und die Altäre vor der Verwitterung. Aber
ist dieser Schutz der Sonntagskleidung vor Nässe das
Wesentliche des Straßburger Münsters? Welchen Zweck
hätten dann die gewaltigen Höhenmaße, das Maßwerk
der Fenster und ihre Malereien? — Die herrliche
Macht der mittelalterlichen Dome stammt offenbar
nicht aus »Zweckerfüllung«, sondern aus einer anderen
Wurzel: aus einem künstlerischen Rausch, aus »höherer
Baulust«.

Der Schluß: also ist die Architektur dort, wo sie
wahrhaft Kunst ist, von der Gebundenheit an einen
Zweck befreit, würde dennoch weit an der Wahrheit
vorbeischießen. Ist nicht immer der kühnste und
reichste Baukünstler zugleich der gewissenhafteste Er-
füller aller Zwecke auch im Kleinen gewesen?

Aber wir wollen daraus keine Theorie machen,
sondern darin eine selbstverständliche Äußerung der
Liebe erkennen, die den wahren Architekten mit jeder
Aufgabe verbindet. Es ist in Wahrheit genau um-
gekehrt, als es uns die Theoretiker der letzten Gene-
ration darstellen wollten. Nein, nicht aus enger,
treuer Pflichterfüllung der Zwecke wird die Kunst,
sondern die Kunst belebt noch den kleinsten Anspruch
der Praxis mit Sinn und Schönheit. Die Zwecke sind
nicht die Wurzeln, sondern die Blätter eines Baumes.
Sie nähren nicht das Ganze, aber sie haben teil an
dem alles durchströmenden Safte. Und der Zweck
ist nichts, das den Baumeister fesselte, sondern er ist,
so sonderbar es klingen mag, er ist ein Teil seiner
Schöpfung. Nicht der Zweck bildet den Architekten,
sondern der Architekt bildet den Zweck. Dort, wo
die Zwecke »klaffen«, ist Lieblosigkeit, ist Schwach-
heit, ist Stumpfsinnigkeit des Architekten. Dort, wo
Schaffenskraft am Werke ist, sind die Zwecke — nicht
»erfüllt«, sondern lebendig gemacht, sind schön und
voller Wirkung. Der Zweck ist für den Architekten
nicht etwas Gegebenes, Festes, er ist ein Teil seines
Materials, mehr als das — er ist das Gesuchte!

Der mäßige Architekt degradiert die Formen zu
Zwecken, der wahre Architekt erhebt die Zwecke zu
Formen!

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