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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Behne, Adolf: Gedanken über Kunst und Zweck, dem Glashause gewidmet
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Rauecker, Bruno: Der Krieg als Erzieher zur Type, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0014

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Ich denke an Bruno Tauts Gartenstadt-Kolonie zu
Falkenberg.

Wie sind hier die Ansprüche der Praxis bis ins
Kleinste bedacht und berücksichtigt. Leidenschaftlich
hat sich der Architekt eingefühlt in die Wünsche,
Bedürfnisse und Ansprüche der Bewohner. Aber er
ist nicht ihr Hausknecht geworden. Er hat nicht das
Ideal gehabt, den Bewohnern ihr Leben so recht von
Herzen bequem zu machen. Er hat ihre Zweck-
ansprüche erfüllt, aber er hat jeden einzelnen dieser
Ansprüche so gefaßt, daß er rückwirkend unmerklich
den Bewohner forme und bilde. Jeder erfüllte Zweck
ist für ihn ein Hebel geworden, einen neuen Menschen
zu gewinnen. Die Bewohner haben alles zur Hand —
und der Architekt hat die Bewohner in der Hand,
durch die Zwecke. Jede Kunst ist letzten Endes
Menschenbildnerei. Die Architektur ist es am stärksten
und sichtbarsten.

Und das Glashaus ist der unwahrscheinlich kühne
und ehrliche Versuch gewesen, die letzte und höchste
Aufgabe aller Baukunst in einer dieser Aufgabe traurig
entfremdeten Zeit zu repräsentieren. Wenn Bruno
Taut in seinem »Führer« sagte: »Das Glashaus hat
keinen anderen Zweck als den, schön zu sein,« so
wollte er gewiß damit nur müßigen Fragen banaler
Gemüter vorbeugen. In Wahrheit hatte das Glashaus
ganz bestimmt einen Zweck — freilich einen so hoch
gefaßten, daß man ihn besser als »Ziel«, als »Idee«
bezeichnete.

Das Publikum ahnte wohl, daß hinter dem »Un-
möglichen« des Glashauses der Hinweis auf eine
Möglichkeit steckte, aber es faßte, wenn es überhaupt
darauf einging, diesen Hinweis allzu realistisch auf:
Die köstlichen Sinnsprüche Paul Scheerbarts für den

Fries wurden so buchstäblich genommen wie die
Urteile eines Juristen. Nein, es war nicht darauf ab-
gesehen, von morgen ab für Müller und Schulze nur
noch in Glas zu bauen, und eine Materialien-Marotte
war das Glashaus am allerwenigsten. Der Takt, mit
dem es sich in der Sphäre der Idee hielt, war voll-
endet. Die Idee wurde weder totgehetzt, noch ins
Literarische verschoben, sie blieb rein und lockend!

Die Sehnsucht nach Reinheit und Klarheit, nach
leuchtender Helligkeit, kristallischer Exaktheit, nach
körperloser Leichtigkeit und unendlicher Lebendigkeit
fand das Glas als Mittel ihrer Erfüllung — den
körperlosesten, den elementarischsten, den wandlungs-
fähigsten und an Deutungen und Anregungen reichsten
Stoff, der wie kein anderer verschmilzt mit der
Welt, der am wenigsten starr dasteht, sondern sich
wandelt mit jedem Wandel der Atmosphäre, un-
endlich reich an Beziehungen, das Oben im Unten,
das Unten im Oben spiegelnd, beseelt, voller Geist
und lebendig!

Der Gedanke an den herrlichen Kuppelraum, der
sich wie eine funkelnde Gehirnschale wölbte, an die
unwirkliche, unirdische Treppe, die man wie durch
perlendes Wasser hinabschritt, ergreift mich und be-
glückt mich in der Erinnerung.

Ein Exempel der »höheren Baulust«, zwecklos,
frei, keinen Anspruch der Praxis befriedigend — und
doch ein Zweckbau, seelische, geistige Ansprüche
weckend — ein ethischer Zweckbau.

Das Glashaus war durch eine Inschrift Paul
Scheerbart gewidmet. Scheerbarts Roman »Das graue
Tuch« (Georg Müller, München) und seine Dichtung
»Die Glasarchitektur« (Der Sturm-Verlag, Berlin) liebt
jeder, der die deutsche Literatur kennt.

DER KRIEG ALS ERZIEHER ZUR TYPE

VON DR. BRUNO RAUECKER- ZEHLENDORF BEI BERLIN

I.

ALS in den Anfangstagen des Monats Juli 1914
der »Deutsche Werkbund« in Köln zum siebenten
■ Male tagte, aus seinen Verhandlungen den emp-
findlichsten Gegensatz zwischen Künstlern und Volks-
wirtschaftlern, einsamen Suchern und großzügigen
Organisatoren in Gewerbe und Handel erkennen ließ,
da dachte wohl keiner der beteiligten Duellanten daran,
wie zwingend schnell der größte Vereiniger aller
Widerstände und Zwiespältigkeiten, der Krieg, dem
Kampfe um die Problematik der Type, um die der
Hader ging, ein Ende bereiten würde. Keiner sah
es voraus, was nicht alles in dem vollen Jahre seiner
Dauer der mächtige Erzieher zusammenschweißen, zu
einem Zweckverbande ineinander fügen, aus wolkigen
Höhen hoheitsvoller Vereinzelung zu einem gesunden
und brauchbaren Gesellschaftsbunde aneinander ketten

würde. Inzwischen haben uns die Arbeitsgemein-
schaften in den Baugewerben, im Metallgewerbe, in
der Leder verarbeitenden Industrie, die scheinbar un-
überbrückliche Interessengegensätze der Unternehmer
und Arbeiter zu überbrücken wußten, die Lieferungs-
verbände der Kleingewerbetreibenden, der Handwerker
und des Kleinhandels, zur besseren Übersicht des
Marktes begründet, die landwirtschaftlichen Genossen-
schaften in nie gekannter Fruchtbarkeit eines Besseren
belehrt. Ja sogar die Verbraucher zeigten in gerechter
Wahrnehmung ihrer Interessen im »Kriegsausschuß
für Konsumenteninteressen«, welche Macht eine gute
Organisation gewinnen, wie sehr sie von dieser Stelle
aus die Maßnahmen des größten Organisators, des
Bundesrates, des Reiches beeinflussen konnten.

Alle diese Neu- und Umformungen der deutschen
Volkswirtschaft nun legen uns mit beinahe selbstver-
 
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