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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Hellwag, Fritz: Der deutsche Werkbund und seine Künstler, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0032

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klingt paradox, aber wir meinen, wenn unser Bund in
annähernd zehn Jahren seine Arbeit getan hat, dann
könnte er das Zeitliche segnen. Bis dahin aber ist
außerordentlich viel Arbeit zu leisten...«

So sprach der erste Vorsitzende, Theodor Fischer,
auf der ersten Versammlung in München igo8. Bald
sind die zehn Jahre um, die er dem Bunde als Lebens-
dauer geben wollte; der Werkbund dürfte bald daran
denken, sich aufzulösen, — wenn seine Mitglieder der
Allgemeinheit bereits derart geholfen hätten, daß sie
und ihre Arbeit überflüssig geworden wären. Ist das
der Fall? Ist dies Ziel schon erreicht? Ich glaube,
keiner unter unseren Mitgliedern und Freunden möchte
diese Fragen bejahen. Vielmehr werden die meisten
antworten, Theodor Fischer habe, als er die Idealisten
charakterisierte, selbst als ein rechter Idealist gesprochen,
der sein weitgestecktes Ziel bald zu erreichen hoffte.
Ja, wir dürfen heute, nach achtjähriger Tätigkeit, hin-
zufügen, daß wir die Arbeit nicht so wagemutig über-
nommen haben würden, wenn wir ihren riesigen
Umfang und die ungeheueren Schwierigkeiten ihrer
Überwindung schon damals hätten überblicken können.
Das eben ist das in der idealistischen Auffassung
liegende Göttergeschenk, daß man sich unerschöpfliche
Kräfte zutraut und daß sich eben durch diesen Glauben
die Kräfte stets wieder erneuern!

Jetzt sehen wir die Schwierigkeiten, die wir da-
mals nicht sahen. Aber lassen wir deshalb den Mut
sinken? Sind wir keine Idealisten mehr? Keineswegs!
Es handelt sich nur darum, uns auf die Arbeit, so
wie wir sie jetzt sehen, neu einzustellen, um unsere
Kräfte sogleich neu unseren Willen durchflutend zu
fühlen! Es war ein immer mehr zum Bewußtsein
kommendes Verdienst der Leitung, daß sie auf der
vorjährigen Jahresversammlung des Deutschen Werk-
bundes in Köln instinktiv den Idealismus auf die Probe
stellte mit der Tagesordnung: »Die Werkbund-Arbeit
der Zukunft«. Da sind nun freilich die Geister sehr
heftig aufeinander geplatzt und es sah für Nichtein-
geweihte manchmal böse genug aus. Aber was schadet
denn das? Wir sind Idealisten und sehen auch hier-
aus, welche Lebenskraft der Werkbund-Gedanke noch
besitzt. Daß er sich klären wird, darum ist uns nicht
bange; freuen wir uns, daß er noch lebt. Wir wollen
aber zu seiner Klärung, die ihm not tut, beitragen.

Wie war es damals? Die neue Produktionsform:
maschinelle Arbeit, hatte die alte handwerkliche Über-
lieferung zerstört und zunächst ein Chaos hervorge-
rufen. Alte Bindungen waren getrennt und Arbeits-
gemeinschaften geteilt in drei Tätigkeiten: das Erfinden,
das Erzeugen und das Verkaufen. Die Vertreter dieser
drei Tätigkeiten sollten im Deutschen Werkbund wieder
zusammengeführt, ihre Arbeit sollte unter einem ge-
meinsamen Gesichtspunkt neu organisiert werden. Den
Sauerteig mußte unter allen Umständen die künst-
lerische Arbeit bilden und die Tätigkeit des Erfindens
die Hauptsache bleiben. Damit die erzeugende In-
dustrie diesen Sauerteig überhaupt anzunehmen fähig
würde, mußten ihr die Grundsätze der Zweckgestal-
tung, der Materialgerechtigkeit und der einwandfreien
Form eingeprägt, dem verkaufenden Händler aber das

Bewußtsein vermittelt werden, daß er von seiner Be-
quemlichkeit ablassen und mit einem persönlich wollen-
den Abnehmerkreis zu rechnen habe.

Dies alles ist erst zum kleinen Teil geglückt und
schon drohen sich die Grundlagen vollkommen zu
verschieben! Die Erzeuger halten an der äußeren
Grenze des Geschmacks ihre Erziehung für vollendet
und sie glauben, der künstlerischen »Bevormundung«
künftig entraten zu können, höchstens wollen sie die
Künstler noch als Reklameschild beibehalten. Die Ver-
käufer unterliegen den Lockungen des imperialistischen
Welthandelsstolzes und denken, mit dem Gegebenen
schon den Export beherrschen zu können, im sicheren
Glauben, daß die ihnen als erfolgreich gepriesenen
Künstler für den notwendigen »Nachschub« sorgen
werden. Ihre Berater, die Volkswirtschafter, verfallen in
denselben Fehler, die Organisation als Selbstzweck zu
nehmen und die künstlerische Erfinderkraft zu früh, oder
mindestens zu vollgewichtig als Faktor in ihre Rechnung
des Aufbaues der nationalen Weltgröße einzusetzen.
Und die armen Künstler fürchten nun, sie möchten
für diese fortgesetzten Nachschübe noch nicht leistungs-
fähig genug sein und von dem neuen System, in das
sie hineingezogen wurden, vor der Zeit der Stilreife
einfach ausgepumpt werden.

Wenn je, so muß es sich jetzt darum handeln,
die künstlerische Mitarbeit, als den weitaus wichtigsten
Faktor, neu zu organisieren, denn die von den neuen Pro-
duktionsformen vorgeschriebene Entwicklung läßt sich
auf keine Weise ändern oder gar aufhalten und jeder
Versuch dazu müßte unerbittlich zum größten Nach-
teile führen. Es ist deshalb von Wichtigkeit, zu wissen,
wie sich die Künstler, ohne die nun einmal nichts,
gar nichts erreicht werden kann, zu der völlig ver-
änderten Grundlage stellen werden. Bevor wir uns
über diese Frage klar werden können, müssen wir erst
sehen, daß es innerhalb des Werkbundes drei Künstler-
gruppen gibt, die auf die ihnen von der »imperiali-
stischen Kunst-Weltwirtschaft« gestellte Aufgabe: mit
deutscher Art die Welt zu erobern, durchaus verschieden
reagieren und zu ihrer Lösung ganz verschiedene
Kräfte mitbringen, bezw. in sich entwickelt haben.

Da sind zuerst die sogenannten Zweck- und Raum-
künstler. Sie haben von Anfang an praktisch gearbeitet
und im Bestreben, die Bedürfnisse der Abnehmer zu
befriedigen und zugleich auf ein höheres Maß zu
bringen, sich ihre »individualistische« Ausdrucksweise
mit der Zeit fast abgewöhnen und abschleifen müssen.
Es sind die, meist um unsere großen Möbelwerkstätten
in Hellerau, München und Bremen gescharten Künstler,
die es vorzugsweise verstehen, die errungenen Fort-
schritte jeweils zu popularisieren. Diese Gruppe ist
die weitaus größte und hat eine immer zahlreicher
werdende Gefolgschaft von Künstlern zweiten und
dritten Grades; sie ist am meisten bekannt geworden
und auf sie setzen jene Kunst-Weltwirtschaftler die
größten Hoffnungen.

Die zweite Gruppe umfaßt diejenigen Künstler,
die sich von den Gebrauchsdingen und von der Innen-
kunst zur Architektur gewendet haben, um in bedeu-
tenderer Weise ihre Kräfte und Aufgaben organisieren

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