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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Hellwag, Fritz: Ästhetik und Reklame: aus einem Referat, gehalten im Reklame-Ausschuss des Ältesten-Kollegiums der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0060

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schreiend sie auch angewandt wurden, es gelang ihnen
doch, die Heiterkeit und das Erstaunen der Beschauer
zu erwecken, die denn auch für diese Befriedigung
ihrer primitiven ästhetischen Gefühle mit dem Kauf
der angekündigten Waren oder mit dem Besuch der
einladenden Vergnügungsstätten quittierten, also mit
dem gesuchten Erfolg. Aber mit der Zeit verfeinerten
sich, wenn auch langsam, die ästhetischen Gefühle
des Publikums, besonders in den Großstädten, wo es
vielerlei zu sehen gab und Vergleiche gezogen werden
konnten, und sie reagierten immer weniger und seltener
auf die derben Anreißer. Die Ankünder mußten des-
halb immer mehr auf eine Verfeinerung ihrer Mittel
bedacht sein, bis schließlich die Not sie zwang, die
Kunst als Helferin herbeizurufen, die Kunst, die nur
reine Gefühle in ihrer Gefolgschaft haben kann. Ihr
Einfluß machte sich verhältnismäßig sehr rasch geltend,
wenn auch das Publikum sich zuerst manchem gegen-
über ablehnend verhielt und die Künstler sich in den
Mitteln vergriffen. Wenn wir das Verhältnis der
Ästhetik zur Reklame besprechen wollen, so kommt
allerdings nur noch diese letzte Phase der Entwicklung
in Betracht, die durch das Eingreifen der Kunst be-
zeichnet wird. Der wirkliche Weg der ästhetischen
Reklame war ungefähr so weit, wie von der Jahrmarkt-
bude zu einer Reinhardschen Autführung.

Die ehemalige Revolverreklame, die mit den Stich-
worten »Sie müssen«, »Belohnung«, »Diebe« usw.
arbeitet, hat bei den Gebildeten längst ausgespielt und
übt ihre zuhälterische Kraft nur auf die geistig
Schwachen, auf die eingebildeten Kranken aus, die
hinter Fernsuggestion und Amulettmagnetismus noch
nicht den Schwindel entdeckt haben und getreulich
folgen, wenn es gebieterisch heißt: »Sie müssen noch
heute schreiben, noch in dieser Stunde, sonst . . .«
Auf jeden denkenden Menschen wirkt solche Reklame
nicht als Empfehlung, sondern als Warnung und be-
leidigend. Sie will nur nehmen, rauben, und wir
gehen ihr mit Scheuklappen weit aus dem Wege, um
nicht in unserem ästhetischen Gleichgewicht umsonst
gestört zu werden.

Ein kluger Reklamefachmann mußte sich bald
sagen, daß er nicht nur zu fordern habe, sondern für
die Störung und erzwungene Aufmerksamkeit etwas
bieten müsse, nämlich die ästhetische Versöhnung und
Befriedigung. Er stellte also als neuen Faktor die
Kunst in seine Berechnung ein. In diesem Neuland
sind ihm nun aber die seltsamsten Irrungen und Ent-
täuschungen begegnet. Er begann, fortwährend die
Mittel mit dem Zweck und den Zweck mit den
Mitteln zu verwechseln. Zwei Wege besonders standen
ihm offen, um mit künstlerischen Mitteln an ein Pu-
blikum von geläutertem Geschmack heranzukommen,
nämlich die Zeitungs- und Plakatreklame und die
Schaufensterausstellung. Beide haben grundverschie-
dene Voraussetzungen. Das Schaufenster ist ein Raum,
das Plakat eine Fläche; das Schaufenster bietet den
konkreten Gegenstand, das Plakat sein abstraktes Bild;
das Schaufenster befindet sich am Orte der Gelegen-
heit, nämlich in der Ladenstraße, das Plakat muß sich
die Gelegenheit erst schaffen und erobern; das Schau-

fenster ladet zum Verweilen ein, das Plakat muß sich
mit einem günstigen Augenblick begnügen; die Schau-
fensterreklame will sofort zum gegenständlichen Ver-
kauf führen, die Plakatreklame muß sich im Geiste
als Erinnerungsbild festsetzen. Es ist einleuchtend,
daß man für beide Ziele verschiedene Wege ein-
schlagen muß. Das geschah aber anfänglich nicht
und kam daher, daß den Kaufleuten die Kunst noch
ein Buch mit sieben Siegeln war und die Künstler
von den Mitteln und Wirkungen der Reklame keine
Ahnung hatten.

Die Künstler brachten unvermittelt die Gesetze
der hohen Kunst in Anwendung. Sie meinten, schon
viel getan zu haben, wenn sie keine Staffeleibilder
als Plakate hinstellten, sondern dekorative Darstel-
lungen gaben. Aber auch damit begingen sie noch
einen schweren Berechnungsfehler. Denn Dekoration
erweckt Stimmung; Stimmung zu erwecken ist aber
nicht Sache eines Plakats, das ^stimmen soll1). Der
durch den farbigen Eindruck angelockte Beschauer
gibt sich dem Genuß des dekorativen Bildes solange
hin, bis ihm durch Nebenumstände der verkappte
geschäftliche Zweck klar wird und er sich enttäuscht
mit einem »Ach so!« abwendet. Er wird bestenfalls
den bildmäßigen Eindruck, nicht aber den Zweck im
Gedächtnis behalten. Der Kaufmann hat sein Geld
umsonst ausgegeben und hat zu seinem Schaden er-
fahren, daß ein Plakataushang keine Kunstausstellung
ist. Er geht hin und sucht nun bei seinem Schau-
fenster die Nutzanwendung zu ziehen. Er beschließt,
diesmal kurz und ohne Umschweife zu sagen, was
er zu sagen hat, damit er ja nicht wieder die Ge-
legenheit versäume. So stellt er also ein und den-
selben Gegenstand zehnmal und in gleicher Aus-
stattung nebeneinander hin. »Wird einer nicht ge-
sehen,« so denkt er, »über zehn kann man nicht
hinwegsehen.« Darin behält er auch recht. Jeder
Vorübergehende sieht mit einem einzigen Blick den
ganzen Rapport. »Aha,« sagt er, »schon fertig, hier
brauche ich mich nicht aufzuhalten.« Er bleibt nicht
stehen, die stillen Wechselbeziehungen zwischen Gegen-
stand und Beschauer, das mystische Hereinziehen des
Käufers findet nicht statt; vielmehr geht der Beschauer
schnell weiter und kauft sich denselben Gegenstand
dann später anderswo, wenn er ihn zufällig wieder-
sieht. »Ih, denkt der Kaufmann, ich werde der Sache
schon beikommen. Bei meinem Plakat blieben die
Leute stehen, bemerkten aber den geschäftlichen Zweck
erst zuletzt, also zu spät; bei meinem Schaufenster
verstanden sie sehr wohl den geschäftlichen Zweck,
aber sie verweilten und kauften nicht. Also, mein
Plakat war zu dekorativ und mein Schaufenster zu
drastisch. Ich muß die Sache mal umgekehrt ver-
suchen.« Er ließ die aufs deutlichste retuschierte Photo-
graphie eines Damenschuhes, nämlich seines Fabri-
kationsobjektes, riesenhaft vergrößern und klebte dieses
realistische Bild an die Mauer. Dann arrangierte er
mit Hilfe eines Künstlers sein Schaufenster als An-

1) Vgl. Dr. R. Hamann, Ästhetik. Leipzig, Verlag von
B. O. Teubner.

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